20 Jahre Irak-Krieg und die Folgen

Am 20. März 2003 marschierten die USA mit Unterstützung britischer, polnischer und australischer Truppen in den Irak ein. Der "Koalition der Willigen" gelang es, Bagdad einzunehmen und Diktator Saddam Hussein zu stürzen. Da kein Mandat des UN-Sicherheitsrats vorlag, gilt der Angriff vielen als völkerrechtswidrig. Europas Presse debattiert die bis heute schwerwiegenden Konsequenzen des Krieges.

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TVXS (GR) /

Whistleblower werden mundtot gemacht

Die unbequeme Wahrheit will kaum jemand hören, kritisiert Stelios Kouloglou, EU-Abgeordneter (Syriza) und Gründer des Webportals TVXS:

„Die US-amerikanischen und britischen Geheimdienste hatten die UNO abgehört, um die Abstimmung im Sicherheitsrat zu beeinflussen. Katherine Gun, die Britin, die dies aufdeckte, wurde angeklagt, ebenso wie andere mutige Menschen, die die Wahrheit sagten, um einen Krieg zu verhindern. ... Julian Assange veröffentlichte 2010 auf der Wikileaks-Website Videos und Dokumente, die die Kriegsverbrechen der US-Besatzungstruppen im Irak belegen. Während die Kriegsverbrecher [Blair und Bush] ihren Geschäften nachgehen, wird Julian Assange, der die Verbrechen aufgedeckt hat, von den USA der Spionage beschuldigt und verrottet im Gefängnis.“

Weltwoche (CH) /

Parallelen zur Ukraine unübersehbar

Die rechtspopulistische Wochenzeitung Weltwoche vergleicht die US-Invasion mit dem russischen Angriff auf die Ukraine:

„Es ist gut, daran zu erinnern – und Vergleiche zu ziehen zum Krieg in der Ukraine. Hier wurden nach unabhängigen Zahlen im vergangenen Jahr 8000 Zivilisten durch russische Bombardements getötet. Das sind 8000 zu viel. Aber diese Zahl erreichten die USA im Irak in den ersten sechs Wochen. ... Insgesamt forderte Amerikas völkerrechtswidriger Angriffskrieg bis zu einer Million Tote – Männer, Frauen, Alte, Kinder, Säuglinge.“

Dagens Nyheter (SE) /

Vertrauensverlust war Trumps Nährboden

Innenpolitisch hat der Irak-Krieg in den USA den Rechtspopulismus gestärkt, analysiert Dagens Nyheter:

„Als dann keine derartigen [vermuteten Massenvernichtungs-] Waffen gefunden wurden und amerikanische Soldaten in größerem Umfang als seit dem Vietnamkrieg in Särgen nach Hause geschickt wurden, verloren sehr viele Menschen sehr viel Vertrauen in das gesamte Establishment. Es ist dieses Misstrauen, das Donald Trump und die populistische Rechte anschließend ausnutzten. ... Auf der Grundlage dieses immensen Versagens im Krieg hat er auf einen allgemeinen Isolationismus gedrängt. ... Das Desinteresse von Teilen der amerikanischen Rechten an der heutigen Unterstützung der Ukraine lässt sich also auch daher ableiten.“

Irish Examiner (IE) /

Glaubwürdigkeit verloren

Die Invasion war für Washington ein außenpolitisches Desaster, resümiert Irish Examiner:

„Die akkumulierten Kosten des neunjährigen Konflikts und der Besatzung belaufen sich auf drei Billionen Euro. Mehr als 300.000 Zivilisten wurden getötet. Die als Rechtfertigung für die Invasion angeführten 'Massenvernichtungswaffen' wurden nie gefunden. ... Hussein war mit Sicherheit ein schlimmer Mann, aber davon gibt es in dieser Welt viele. ... Durch diesen Krieg ohne Mandat und die nachfolgenden Handlungen wie abscheuliche Folter und Menschenrechtsverletzungen, etwa im Abu Ghraib-Gefängnis, hat der Westen seine moralische Kraft verloren. Und er hat es seither nicht geschafft, diese wiederzuerlangen.“

The Times (GB) /

Überheblich und folgenschwer

Einen nachhaltigen Schaden für den ganzen Westen diagnostiziert The Times:

„Der Irakkrieg war ein überheblicher Akt, der zu weit ging. Ein Produkt der Rücksichtslosigkeit des amerikanischen 'unipolaren Moments' [der Alleinstellungsmacht der USA] nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Im Laufe der Zeit fällt das Urteil der Geschichte für die Verantwortlichen - auch für die in Großbritannien - immer vernichtender aus. Die möglicherweise schwerwiegendste Folge des Krieges ist aber, dass er die Aufmerksamkeit des Westens von weitaus größeren Risiken für dessen langfristige Sicherheit ablenkte, die von China und Russland ausgingen. Wir alle leben mit dieser Hinterlassenschaft: einer instabileren, gefährlicheren Welt, wie wir sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt haben.“

La Stampa (IT) /

Die große Lüge

Für La Stampa war der Krieg mit seiner vorgeschobenen Begründung ein Dammbruch:

„Nicht Saddam, der Diktator, der letzte der psychopathischen Schurken des 20 Jahrhunderts, hat uns getäuscht. ... Ihm gegenüber waren wir wachsam, voller Misstrauen. Nein, wir wurden von einer Demokratie, besser gesagt von der Demokratie schlechthin, getäuscht und begaben uns auf den Weg in die schlimmste aller Katastrophen, die moralische. ... Die vergiftete Propaganda hat uns korrumpiert. ... Dieser Krieg hat vieles zerstört, Menschen, Gefühle, Werte. Wir sind nicht in der Lage gewesen, das Zerstörte wieder aufzubauen. Und zwanzig Jahre später befinden wir uns wieder im Krieg. Wir sind inzwischen unfähig, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden.“

Večernji list (HR) /

USA sind keine moralische Autorität mehr

Večernji list beleuchtet die Parallelen zum Ukraine-Krieg:

„So wie es sich bei dem Angriff auf den Irak um den Versuch handelte, die imperiale Vorherrschaft der USA in diesem Teil der Welt herzustellen, so ist auch Putins Angriff auf die Ukraine ein Versuch, die russische imperiale Macht zu erneuern, und es scheint, dass beide Versuche gleichermaßen enden werden: im Fiasko. Das Erbe des Iraks ist in diesem Moment jedoch ein großer Ballast für die USA. Obwohl Putins aggressiver Krieg gegen die Ukraine zweifelsohne ein Angriff auf die Weltordnung ist, stellt der amerikanische Krieg im Irak die Glaubwürdigkeit der US-Führung in Frage, wenn sie Putin wegen des Angriffs auf ein souveränes UN-Mitglied und Verstößen gegen internationales Recht kritisieren.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Profitiert haben die Rüstungskonzerne

Die taz kritisiert, dass in den USA bis heute kein einziger Verantwortlicher für die Kriegsverbrechen verurteilt worden ist:

„[W]eder für Morde an Zivilisten noch für Folter oder dafür, die Propaganda über angebliche Massenvernichtungswaffen oder Saddam Husseins Verbindung zu al-Qaida vorbereitet zu haben. Die Billionen Dollar, die der Krieg gegen den Irak gekostet hat, hätten die USA zu einem besseren Ort machen können. Ein Bruchteil davon hätte ausgereicht, um die Armut in den USA zu lindern, eine flächendeckende Gesundheitsversorgung einzuführen und die Transformation von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien voranzutreiben. Wenige konnten in großem Stil von dem Krieg profitieren. Allen voran sind das die Rüstungskonzerne.“