Nato: Was bedeuten höhere Verteidigungsausgaben?

Nächste Woche kommen die Mitgliedsstaaten der Nato zu einem zweitägigen Gipfel in Den Haag zusammen. Beherrschendes Thema wird die Frage sein, wie gut das Bündnis aufgestellt ist und wie die von US-Präsident Donald Trump geforderten fünf Prozent des BIP für Verteidigungsausgaben erreicht werden können. Kommentatoren debattieren, wie sinnvoll die Erhöhung angesichts angespannter Staatshaushalte ist - und wie dringend angesichts der Bedrohungslage.

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Delfi (LV) /

Keine Panik angesichts von Russlands Vorgehen

In letzter Zeit gibt es Informationen, wonach Russland nicht mehr seine gesamte produzierte Munition und Ausrüstung in die Ukraine liefert, sondern begonnen hat, seine Westgrenzen militärisch zu verstärken - vor allem zum Nato-Neumitglied Finnland. Delfi beruhigt die Gemüter:

„Derzeit handelt es sich lediglich um begrenzte Transporte von Ausrüstung und den Aufbau von Infrastruktur. Aus diesen Informationen lässt sich nicht automatisch schließen, dass ein russischer Angriff vorbereitet wird. Auch der Zeitfaktor muss berücksichtigt werden. Selbst bei aggressiven Absichten würde ein konventioneller Angriff Vorbereitungszeit erfordern – laut deutschen Geheimdiensten mindestens ein bis fünf Jahre. Die russischen Vorarbeiten müssen jedoch ernsthaft geprüft werden.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Gut, dass Deutschland aufrüstet

Helsingin Sanomat lobt die von der Regierung in Berlin geplante Erhöhung der Verteidigungsausgaben:

„Gleichzeitig baut Deutschland in Litauen einen ständigen Stützpunkt mit rund 5.000 Soldaten auf. Damit engagiert sich Deutschland für die Verteidigung der Ostgrenze. … Natürlich wäre es am besten, wenn sich niemand bewaffnen müsste. Aber die Zeiten sind wie sie sind. Russland ist ein Aggressorstaat, dessen Anführer überall Ziele für die 'Entnazifizierung' sieht, nur nicht dort, wo sie existieren: im Spiegel. Der Präsident der Vereinigten Staaten, der so genannte Führer der freien Welt, wiederum schmeichelt seinem russischen Amtskollegen, wo er nur kann. Deshalb ist es gut, dass Deutschland aufrüstet.“

Espreso (UA) /

Kyjiw braucht klare Zusagen

Ein Treffen Selenskyjs mit Trump am Rande des Nato-Gipfels wäre für die Ukraine von strategischer Bedeutung, betont Publizist Witalij Portnykow in Espreso:

„Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine erscheinen derzeit wenig aussichtsreich. Die Ukraine muss sich mit den USA verständigen - sei es über weitere Hilfen oder zumindest über den Kauf amerikanischer Waffen. ... Zudem müssen neue Sanktionen gegen Russland erörtert werden. Auch wenn diese Sanktionen den Verlauf des russisch-ukrainischen Kriegs kaum beeinflussen dürften, wären sie doch ein Signal, dass die USA zumindest im wirtschaftlichen Bereich zu keiner Annäherung an Russland bereit sind – solange der russische Präsident Putin an seinem Zermürbungskrieg gegen unseren Staat festhält.“

Mladina (SI) /

Der Nutzen von Frieden ist weitaus höher

Letztlich werde aufgerüstet, um Kriege zu führen, warnt Mladina – das diesbezüglich auch die USA verdächtigt:

„Die Welt steuert auf einen Dritten Weltkrieg zu. Rüstungswettlauf und Militärausgaben steigen, militärische Konflikte eskalieren. ... Washington plant seit langem einen großen Konflikt um die wackelige Weltherrschaft, und der unberechenbare Trump ist lediglich der vorhersehbare Abschluss dieses Prozesses. Doch Kriege enden nie wie geplant. Die USA werden in ihnen endgültig ihre Hegemonialstellung verlieren, und Europa wird erneut das Schicksal eines zerfallenden Kontinents erleben. Die wirtschaftlichen Effekte des Wettrüstens sind stets ein kurzlebiger Schwindel, die Kosten von Kriegen übersteigen stets den Nutzen des friedlichen Zusammenlebens der Länder.“

Le Figaro (FR) /

Nicht auf abstrakte Ziele versteifen

Das Treffen in Den Haag sollte sich auf konkrete Erfordernisse konzentrieren, rät Jean-Louis Thiériot, früherer Staatssekretär für Verteidigung, in Le Figaro:

„Anstatt sich auf das abstrakte Ziel von fünf Prozent des BIP zu versteifen, sollte man sich Gedanken über den grundlegenden Bedarf machen. Vorrangig geht es dabei um Enabler, jene strategischen Kapazitäten, die derzeit von US-Mitteln abhängen: Beobachtungssatelliten, insbesondere Radare, Boden-Luft-Verteidigung, Kommando- und Kontrollzentralen, Fähigkeiten zu Tiefschlägen und strategische Transporte. Zudem ist es unerlässlich, eine starke und souveräne europäische Industriebasis zu entwickeln, die imstande ist, das Erstarken Europas zu unterstützen.“

De Volkskrant (NL) /

Flexibilität muss gewahrt bleiben

Das Fünf-Prozent-Ziel wird enorme Opfer fordern, mahnt De Volkskrant:

„Mehr Verteidigung geht auf Kosten der sozialen Sicherheit, des Gesundheitswesens, der Bildung und der Kultur, selbst wenn gleichzeitig die Steuereinnahmen erhöht werden können. ... Sobald die Aufholjagd abgeschlossen ist oder sich die Bedrohungslage ändert, müssen die europäische Verteidigung und Verteidigungshaushalte flexibel genug sein, um den Kurs anzupassen. Denn so wie die Niederlande und Europa jahrelang viel zu wenig für die Verteidigung ausgegeben haben, in der naiven Annahme, dass die damalige Lage andauern werde, so kann ein Land (irgendwann) auch wieder zu viel für Verteidigung ausgeben.“

De Morgen (BE) /

Erstmal eine gründliche Analyse

Europa sollte zunächst die russische Gefahr genau untersuchen, fordert De Morgen:

„Wie sehr sollten wir uns vor einem Russland fürchten, das nicht einmal mehr seine Verbündeten schützen kann und einen befreundeten Schurken nach dem anderen verliert? ... Naivität ist fehl am Platz. Putins imperialistische Kriegslust ist real. ... Aber eine gründliche Analyse der russischen Gefahr ist insofern gerechtfertigt, als die Nato ihren Mitgliedstaaten irrsinnige Ausgaben auferlegen will. Eine ehrliche Bewertung würde die Unterstützung für notwendige Investitionen in die europäische Verteidigung wieder erhöhen. ... Und sie würde uns vielleicht auch vor übermäßig verrückten Kosten bewahren.“

Le Soir (BE) /

Vertrauensmissbrauch gegenüber Steuerzahlern

In der belgischen Staatskasse ist kein Geld für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben vorhanden, kritisiert Le Soir:

„Wie kann man es wagen, sich zu derartigen Summen zu verpflichten, ohne zu wissen, ob und wie man sie finanzieren kann? ... Wie kann man es wagen, mit löchrigen Budget-Körben zu einem Nato-Gipfel zu reisen? Wie kann man es wagen, selbst 'gemischte' Ausgaben – halb-zivil, halb-militärisch – in Höhe von 3,5 bis 5 Prozent des BIP pro Jahr anzupeilen, wenn für die bereits versprochenen 2 Prozent 'kein Cent vorhanden' ist? … Geld auszugeben, das man nicht hat, ist ja schon schlimm genug, aber das Geld der Bürger auszugeben, ohne diese von vornherein umfassend zu informieren, stellt einen Vertrauensmissbrauch dar.“

Pravda (SK) /

Reine Provokation

Pravda begrüßt, dass Präsident Peter Pellegrini Premier Robert Fico sofort widersprach, nachdem Letzterer überraschend eine Neutralitätsdebatte in der Slowakei angestoßen hatte:

„Ficos Erwähnung der Neutralität verwirrte alle – so etwas hatte es zuvor noch nie gegeben. Präsident Pellegrini lehnte die Idee der Neutralität kategorisch ab, da sie die Slowakei seiner Meinung nach deutlich mehr kosten würde als eine Nato-Mitgliedschaft. ... Laut dem Präsidenten provoziert der Premierminister nur. ... Während wir über die Erhöhung der Ausgaben für unsere Sicherheit sprechen sollten, führen wir eine unverbindliche Debatte über eine Art imaginäre Neutralität, die für uns völlig ausgeschlossen ist. Fico bedient hiermit die Wähler, die die Nato-Mitgliedschaft ablehnen.“