Nato-Gipfel: Geschlossenheit und Stärke?
Am Dienstag und Mittwoch treffen sich die Staats- und Regierungschefs der Nato-Staaten in Den Haag. Als wichtigsten Beschluss sollen sich alle Bündnispartner dazu verpflichten, fünf Prozent der Wirtschaftsleistung für Verteidigung auszugeben – 3,5 Prozent für Waffen und Soldaten plus 1,5 Prozent für Infrastruktur mit militärischer Bedeutung. Welche Signale von dem Gipfel ausgehen könnten, debattiert Europas Presse.
Unbequemer Spagat
Generalsekretär Mark Rutte steht vor der Aufgabe, immer augenfälliger werdende Risse in der Allianz zu kitten, analysiert De Standaard:
„Mark Rutte muss tief in seine politische Trickkiste greifen, um die Nato-Allianz zusammenzuhalten. Das führt zu seltsamen Konstruktionen, bei denen Länder wie Spanien Ausnahmen erhalten, die offiziell keine sind. ... Am Montag versicherte er, dass es für die Ukraine einen 'unumkehrbaren Weg' in die Nato gebe. Diese Aussage machte erneut deutlich, in welch seltsamem Spagat er sich befindet. Er muss mit unklaren Zugeständnissen alle europäischen Länder an Bord halten. Aber er muss auch feststellen, dass die Kluft zwischen Trump und dem Rest der Allianz immer größer wird und es immer schwieriger wird, die Bruchlinien zu kitten.“
Hauptsache Trump langweilt sich nicht
Die Kleine Zeitung stellt fest:
„Auch auf europäischem Boden dreht sich alles um den einen Mann aus Amerika. Der gesamte Nato-Gipfel, der heute und morgen im niederländischen Den Haag stattfindet, hat sich auf die Wünsche von US-Präsident Donald Trump ausgerichtet. ... Dass der intensive Teil des Gipfels auf nur zweieinhalb Stunden reduziert wurde, um Trump nicht zu langweilen, und dass offensichtlich auch eine Golfrunde für Trump ins Programm gepresst wurde, ist da bloß noch eine Randnotiz.“
US-Präsident sollte Nato zu schätzen wissen
Der Nutzen der Nato-Logistik anderer Staaten könnte Trump nun bewusster geworden sein, heißt es bei Spotmedia:
„Die US-Operation [im Iran] war komplex und hätte ohne die Mitarbeit der Nato-Staaten und dem Einsatz der amerikanischen Militärinfrastruktur auf dem alten Kontinent nicht umgesetzt werden können. Dessen ist sich Donald Trump sehr wohl bewusst. … Der Erfolg der amerikanischen Operation gegen die iranischen Nuklearanlagen könnte die Beziehungen zwischen der neuen US-Regierung und der EU wiederherstellen und damit auch erste Gespräche über eine konsequentere Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriff anstoßen.“
Europa im Schatten Washingtons
Europa demonstriert seine außenpolitische Ohnmacht, urteilt L'Opinion:
„In der Ukraine zeigen die Europäer bereits seit über drei Jahren, dass sie weder die Mittel noch den Willen haben, sich ausreichend dafür einzusetzen, das militärische Kräfteverhältnis zugunsten Kyjiws zu verändern. ... Weder Brüssel noch irgendeine andere große europäische Hauptstadt hat tatsächlich Einfluss auf den Lauf der Dinge. Der Nato-Gipfel wird das bestätigen: Die USA sind der zentrale Akteur. … Anschließend wird der Europäische Rat bemüht sein, eine gute Figur zu machen und zu versuchen, nicht nur die Meinungsverschiedenheiten in großen geopolitischen Fragen zu kaschieren, sondern auch die eklatante Schwäche Europas, dessen Institutionen und Philosophie nicht an die aktuelle Welt angepasst sind.“
Innenpolitisch geht die Auseinandersetzung weiter
Die Herausforderungen für die EU-Staaten werden auch nach dem Gipfel weitergehen, so der Politologe Ramūnas Vilpišauskas in 15min:
„Eine davon lautet: Wie lässt sich der eigenen Bevölkerung vermitteln, dass höhere Verteidigungsausgaben notwendig sind – und dass Sicherheit die Grundlage für viele andere gesellschaftliche Errungenschaften bildet? Besonders schwierig ist das in Ländern, in denen populistische Parteien – auch in Deutschland, das eine Führungsrolle anstrebt – diese Ausgaben kritisieren und den vermeintlichen Gegensatz zwischen 'Waffen' und 'Butter' politisch ausschlachten wollen.“
Den gesellschaftlichen Zusammenhalt schützen
Widerstandsfähigkeit lässt sich nicht allein mit höheren Rüstungsausgaben sicherstellen, betont Volkskrant-Kolumnistin Marica Luyten:
„Verteidigung erfordert auch eine gemeinsame Vorstellung davon, wer wir gemeinsam sind. Putin greift die europäischen Gesellschaften an ihrem verwundbarsten Punkt an: ihrer Verflechtung. ... Sein hybrider Krieg ist destabilisierend und spaltend. Für Putins neue Weltordnung muss der Westen im Chaos zerfallen. ... Unsere Widerstandsfähigkeit beginnt mit dem gesellschaftlichen Zusammenhalt. ... Wer das soziale Gefüge ausfransen lässt, verspielt die Sicherheit in Zeiten des hybriden Krieges.“