Beschließt EU umstrittenen Kredit an die Ukraine?
Beim heutigen EU-Gipfel liegt eine zentrale Frage auf dem Tisch: Soll die EU der Ukraine einen Milliardenkredit gewähren, der sich aus eingefrorenen russischen Vermögen speist? Russland behielte formell die Ansprüche auf die fortan dauerhaft blockierten Gelder. Rückforderungen aus Moskau würden aber nur akzeptiert, wenn es künftig Kriegsreparationen zahlt. Ein Großteil dieser russischen Reserven liegt beim Finanzinstitut Euroclear in Belgien.
Kyjiw nicht im Regen stehen lassen
Český rozhlas fordert die Zustimmung zum Ukraine-Kredit:
„Können wir es uns leisten, der Ukraine in dieser Situation die finanzielle Unterstützung zu verweigern? Können wir den Zusammenbruch des ukrainischen Staates und die Schwächung seiner militärischen Position zulassen, gerade jetzt, wo Russland mit der großzügigen Unterstützung der USA unter Trump versucht, ihm ein demütigendes Friedensabkommen aufzuzwingen? Das wäre ein völliger Bruch mit allem, was Europa bisher gepredigt hat. Eine Schande und ein moralischer Tiefpunkt. Es würde Trumps Worte bestätigen, wonach die europäischen Staats- und Regierungschefs tatsächlich Schwächlinge sind, die nicht wissen, was zu tun ist.“
Die Prioritäten sind eindeutig
Die Verwendung der blockierten russischen Vermögen ist die beste Option, betont auch De Volkskrant:
„In einer akuten Notlage muss Europa den Mut haben, sich für das zu entscheiden, was am schwersten wiegt: die Unterstützung für die Ukraine. Wenn Europa versagt, erleidet es eine enorme moralische Niederlage, weil es ein Land im Stich lässt, das seit fast vier Jahren schwer unter der russischen Aggression leidet. Europa würde auch eine schwere politische Niederlage erleiden, wenn es nicht in der Lage ist, wirksam gegen die russische Aggression vorzugehen, die nicht nur die Ukraine, sondern die gesamte europäische Sicherheitsordnung bedroht.“
Bei Ausfall zahlen die Bürger
Letztlich werden wohl die europäischen Bürgen für die Kreditsumme geradestehen müssen, erklärt Die Welt:
„Reparationszahlungen werden die Russen wohl nicht leisten. ... Der Kriegsherr wird auch kaum freiwillig auf das Zentralbankvermögen verzichten. Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass die Ukraine den Großkredit zurückzahlen kann. Wenn aber das Geld weg ist und Russland nach einem wie auch immer gearteten Kriegsende sein Vermögen zurückfordert, sind die EU-Staaten in der Haftung. Denn sie bürgen für die Rückzahlung der geplanten Ukraine-Hilfe. Eine Bürgschaft für einen Kredit, der mit fast hundertprozentiger Wahrscheinlichkeit ausfällt, ist nichts anderes als eine verdeckte Verschuldung. In Wirklichkeit zahlen mithin nicht die Angreifer für die neue Finanzspritze an das kriegsgeplagte Land, sondern die Bürger der EU-Staaten – die man darüber aber im Unklaren lässt.“
Einlagen bei Euroclear sind zweischneidiges Schwert
Corriere della Sera erörtert die Risiken:
„Euroclear verwaltet auch Einlagen in Höhe von umgerechnet 17 Milliarden Euro in Russland, die seinen Kunden gehören, unter ihnen JPMorganChase, sodass die größte US-Bank versuchen könnte, ihre Ansprüche bei Euroclear gelten zu machen, sollte die russische Regierung die Einlagen von Euroclear beschlagnahmen. In dieser unsicheren Lage ist eines garantiert: Sollten die europäischen Regierungen beschließen, die russischen Reserven für die Ukraine zu mobilisieren, könnte der Kreml binnen weniger Stunden diese 17 Milliarden Euro beschlagnahmen. ... Kurz darauf würde Moskau die Vermögenswerte der wichtigsten europäischen Konzerne angreifen, die noch in Russland tätig sind, darunter die französische TotalEnergies und die [italienische Bank] Unicredit.“
Union in der Zwickmühle
Trud sieht keine sinnvolle Lösung im Streit um die Kreditbeschaffung:
„Ist nach den jahrelangen Diskussionen über dieses Thema die beste Lösung der Eurokraten wirklich, Belgien mit Gewalt dazu zu zwingen? ... Merz behauptet, dass Europa leiden wird, wenn es diese Entscheidung nicht trifft. Wie sehr wird es leiden, wenn sie um jeden Preis durchsetzt wird? Die Alternative ist ebenfalls beängstigend. In einer Situation mit Haushaltsdefiziten [in mehreren EU-Ländern] wird es sehr schwierig sein, gemeinsame Kredite aufzunehmen, um die Ukraine zu finanzieren. So ist eben die Situation nach Jahren voller Fehlentscheidungen. Im Großen und Ganzen gibt es keinen sinnvollen Schritt mehr.“
Meloni bestimmt den Kurs
Das Tauziehen um den Mercosur-Vertrag und die Euroclear-Guthaben zeigt, dass die Stellung von Meloni in der EU stark ist, schreibt De Morgen:
„Nicht Berlin oder Paris bestimmen den Kurs, sondern Rom. Das Dilemma um die Euroclear-Guthaben wurde richtig akut, als Meloni sich hinter [den belgischen Premier Bart] De Wever stellte. ... Wer in Europa ein schwieriges Thema durchbringen will, muss an Meloni vorbeikommen. Es ist kein Zufall, dass Meloni das Ohr von Donald Trump hat. Während wir uns auf den Präsidenten auf der anderen Seite des Ozeans fixieren, gibt das radikal rechte Rom die Richtung für unsere Zukunft vor.“
Finanzielle Überlebenssicherung gewährleisten
Statt sich ständig zu bemühen, Trump nicht zu verprellen, sollte Europa Nägel mit Köpfen machen, fordert Der Standard:
„Die Würfel fallen eher bei dem EU-Gipfeltreffen am 18. und 19. Dezember. Die 'Koalition der Willigen' könnte einen Teil des eingefrorenen russischen Vermögens in der Höhe von 193 Milliarden Euro in einen zinslosen Kredit für die Ukraine umwandeln und so im Frühjahr den finanziellen Zusammenbruch des um Überleben kämpfenden ukrainischen Staates verhindern. Statt rhetorischer Solidarität sollte die EU die nationalen Egoismen überwinden und die Waffenproduktion samt dem Ankauf von US-amerikanischen Rüstungen koordiniert finanzieren. ... Von der Trump-Regierung ist nichts zu erwarten. Die Zeit für Schmeicheleien des Egomanen Trumps ist vorbei.“
Merz weiß um seine hohe Verantwortung
Berlin ist eine treibende Kraft in dieser Frage, lobt Hospodářské noviny:
„Die Ukraine kämpft ums Überleben, Europa um seine zukünftige Sicherheit. Einer der wenigen Politiker, die das verstehen, ist der deutsche Kanzler Friedrich Merz, der Gastgeber der letzten Verhandlungsrunde in Berlin. Er steht vor der Aufgabe, nicht nur die Aufrüstung der eigenen Armee und des restlichen Europas zu beschleunigen, sondern in dieser Woche auch einen wichtigen Schritt durchzusetzen: einen EU-Kredit an die Ukraine, der durch eingefrorene russische Vermögenswerte auf EU-Gebiet besichert ist. Gelingt dies, wäre es ein historischer Schritt, der der Ukraine finanzielle Mittel für die nächsten zwei Jahre sichern und Europa Zeit zur Vorbereitung geben würde.“
Politisch kein leichter Spaziergang
Naftemporiki beschreibt die Probleme, die eine Kreditzusage mit sich brächte:
„Die rechtlichen Komplikationen selbst einer indirekten und garantierten Verwendung der eingefrorenen russischen Gelder bleiben gravierend, weshalb der morgige EU-Gipfel recht hitzig zu werden verspricht. Aber selbst wenn das Projekt voranschreitet, wird der Weg zur Umsetzung für die europäischen Regierungen erneut schwierig sein. Er ist nicht nur mit finanziellen, sondern auch mit politischen Kosten verbunden, insbesondere für die Regierungen im Süden Europas. Diese müssen ihre Bürger davon überzeugen, dass sie über das – lobenswerte – Ziel der Unterstützung der Ukraine hinaus auch die eigenen Kriegsvorbereitungen gegen die russische Bedrohung finanzieren müssen.“