Sucht Orbán den endgültigen Bruch mit der EVP?

Ungarns Premier Orbán hat EVP-Spitzenkandidat Weber die Unterstützung bei der Europawahl entzogen. Als Begründung nannte er eine Äußerung Webers, wonach dieser nicht EU-Kommissionspräsident werden wolle, wenn er die Stimmen des Fidesz dazu brauche. Kommentatoren interpretieren dies als endgültigen Bruch mit der EVP und spekulieren über Orbáns und Webers Zukunft.

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Gazeta Wyborcza (PL) /

Willkommene Ausrede

Orbán scheint geradezu fieberhaft nach einer Möglichkeit gesucht zu haben, sich von der Europäischen Volkspartei zu distanzieren, glaubt Gazeta Wyborcza:

„Es gibt viele Anzeichen dafür, dass sich Orbán nach der Wahl von den Christdemokraten zurückziehen und den Populisten anschließen wird. Er sucht nur nach einer Ausrede, um die EU-Anhänger in Ungarn davon zu überzeugen, dass Fidesz trotz ehrlichster Absichten nicht in der EVP bleiben konnte. Vielleicht hat Manfred Weber, der EVP-Kandidat für das Amt des Kommissionschefs, ihm diesen Vorwand geliefert. Im ZDF sagte Weber vor gut einem Monat, dass, wenn seine Wahl von der Unterstützung der Partei Orbáns abhinge, er dieses Amt nicht antreten würde.“

tagesschau.de (DE) /

Störenfried muss nicht mehr hofiert werden

Der Bruch sorgt für Klarheit und ist für Europas Demokratie ein gutes Signal, findet tagesschau.de:

„Allzu lange hatten Weber und seine EVP angesichts der wiederholten Zumutungen aus Budapest beide Augen zugedrückt, um die Geschlossenheit des bürgerlichen Lagers nicht zu gefährden. Vor allem aber haben Webers Parteifreunde von der CSU - allen voran Ex-Chef Horst Seehofer - während der Flüchtlingskrise und danach mit dem ungarischen Störenfried in fahrlässiger Weise gekungelt und ihn hofiert. ... Jetzt gilt endlich klare Kante und Spitzenkandidat Weber muss bei kritischen Nachfragen künftig nicht mehr umständlich erklären, warum er einen wie Orbán trotz allem noch immer für einen potenziellen Partner hält.“

Mérce (HU) /

Jetzt kann er faschistische Ideen ausleben

Auch der linke Philosoph Gáspár Miklós Tamás ist in Mérce nicht unglücklich darüber, dass die Verhältnisse nun geklärt sind:

„Endlich verbündet Viktor Orbán sich mit denen, die seine Ideale teilen. Seine Presse (die als Staatspresse, als offizielle Quelle gilt) hat auch schon früher klar gemacht, woher seine Ideen stammen. Der Begriff des "Bevölkerungsaustausch" den Europa ("Brüssel") angeblich will, stammt aus dem berühmten Buch - Le Grand Remplacement - des faschistischen Schriftstellers Renaud Camus. Mit dieser wichtigen faschistischen Persönlichkeit hat [das regierungsnahe Portal] Mandiner ein Gespräch geführt, was an sich schon ein strafrechtlicher Tatbestand ist... Wenn Sie in die Werke der neofaschistischen Autoren hineinlesen, dann werden Sie genau die Stimmen hören, die hier aus offiziell regierungsnahen und regierungsfreundlichen Hälsen erklingen.“

Magyar Hírlap (HU) /

Die FPÖ ahnte das Unheil schon lange

Seine Ankündigung machte Orbán bei einem Besuch von Österreichs FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache in Budapest. Ein guter Partner, findet die regierungstreue Tageszeitung Magyar Hírlap:

„Die FPÖ macht seit Jahrzehnten auf die Gefahren der Einwanderung und der schleichenden Fokussierung der EU auf Brüssel aufmerksam. ... Doch erst die Flüchtlingskrise, die Millionen, die durch Europa zogen, haben das Thema zum politischen Tagesgespräch gemacht. In den letzten Jahren wurde es zur unumgänglichen Wahrheit, dass nicht nur die vorübergehend Schutz suchenden Flüchtlinge eine Belastung für Europa sind, sondern auch die Millionen illegaler Wirtschaftsflüchtlinge, die Terroristen, die sich unter ihnen verstecken und, was bei der aktuellen sicherheitspolitischen Lage besonders beunruhigend ist, die bereits bestehenden Parallelgesellschaften.“

Večernji list (HR) /

Das könnte Weber auch zugutekommen

Orbáns Ankündigung muss kein Nachteil für Weber sein, analysiert Večernji list:

„Weber wäre nicht der erste EU-Kommissionspräsident, der ohne die Fidesz-Stimmen gewählt wurde, denn Orbán hat 2014 auch nicht für Juncker gestimmt. ... Es ist auch eine Erleichterung für Weber, der wegen seines Verhältnisses zu Orbán unter Druck geraten ist, weshalb er jetzt hofft, dass sich sein Standing verbessert. Auf der anderen Seite ist die große Frage, ob er wirklich Erfolg haben wird ohne die Stimmen von Fidesz. Denn seine Kandidatur ist nicht auf den erhofften fruchtbaren Boden gefallen.“