Berlin straft Moskau mit Stopp für Nord Stream 2

Die Bundesregierung hat das Genehmigungsverfahren für die Inbetriebnahme der Gaspipeline Nord Stream 2 vorläufig gestoppt. Damit reagiert Deutschland auf die Anerkennung der Separatisten-Gebiete Donezk und Luhansk durch Russland. Kommentatoren bewerten Berlins Entscheidung als ernstzunehmende Sanktion gegen Moskau. Aber wird sie auch Bestand haben?

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republica.ro (RO) /

Die endgültige Entscheidung steht noch aus

Ob aus dem vorläufigen Stopp der Ostsee-Pipeline auch ein dauerhafter wird, ist für republica.ro noch nicht entschieden:

„Die Frage, die bleibt, ist folgende: Werden die Europäer und vor allem die Deutschen in der Lage sein, Energie für demokratische Prinzipien zu opfern? Das wäre ideal, denn es gibt Alternativlösungen zum russischen Gas - nur dass die Geopolitik nicht mit Gefühlen arbeitet, sondern mit Realitäten und Handlungen, die sich nach Kosten und Nutzen richten. Derzeit scheint es aus der Perspektive von Millionen potenzieller Kunden unmöglich zu sein, das Mammut-Projekt von Gazprom aufzugeben. Gleichzeitig wäre es unmöglich, es fortzusetzen, wegen der geopolitischen Folgen für die Ukraine, aber auch wegen der westlichen Einheit.“

Wprost (PL) /

Eine historische Chance

Für Wprost könnte Berlin mit der Entscheidung eine echte Wende vollziehen:

„Olaf Scholz hat die Chance, als der Kanzler in die Geschichte einzugehen, der die für die Sicherheit ganz Europas gefährliche Abhängigkeit von russischem Gas durchbrochen hat. ... Drücken wir also die Daumen, dass Scholz, dessen Regierung sich angesichts der russischen Bedrohung zunächst desolat verhalten hat, nun eine nüchterne Einschätzung der Lage vornimmt. Deutschlands Verzicht auf Nord Stream 2 wird weit mehr für die Sicherheit Europas tun, als mit leeren Appellen zum Pazifismus aufzurufen und ansonsten den Kopf in den Sand zu stecken.“

Zeit Online (DE) /

Aus der russischen Geiselhaft befreien

Zeit Online sieht den Zeitpunkt für einen energiepolitischen Paradigmenwechsel gekommen:

„Der ist ökologisch und sicherheitspolitisch überfällig. In der aktuellen Krise wird es nicht einfach sein, einen schnellen Ersatz für die russischen Energieexporte zu finden, sollte Russland als Reaktion auf die europäischen Sanktionen seine Lieferungen tatsächlich stark reduzieren oder einstellen. Allein mit Flüssiggas aus den USA lässt sich diese Lücke nur schwerlich schließen, obwohl an einem solchen Plan schon länger gearbeitet wird. Es geht darum, für die Zukunft eine Energiepolitik in Deutschland und Europa aufzubauen, die vor allem auf erneuerbaren Quellen basiert und sich damit aus der russischen Geiselhaft löst. Das wird eine Weile dauern, aber es ist möglich.“

Ria Nowosti (RU) /

Deutschland schneidet sich ins eigene Fleisch

Als deutsches Einknicken vor den USA kritisiert Ria Nowosti den vorläufigen Stopp der Pipeline-Genehmigung:

„Das zeugt von der Schwäche des neuen deutschen Regierungschefs, der nach langem Washingtoner Druck doch die eigenen nationalen Interessen aufgegeben hat. ... Außerdem zeugt dies davon, wieviel all die Reden über die Trennung von Business und Politik in Europa, von der Selbstständigkeit der Marktteilnehmer und dem Fehlen staatlichen Einflusses auf Regulierungsprozesse wert sind. Wenn es dann Gegensanktionen gibt, wird Berlin wieder erregt erklären, der Staat habe nichts damit zu tun - so wie beim Sendeverbot für RT DE in Deutschland. Berlin hat mit dem Ausbremsen von Nord Stream 2 in erster Linie sich selbst, seine Wirtschaft und seine Verbraucher gestraft.“

The Spectator (GB) /

Meilenstein des westlichen Zusammenhalts

Für Putin dürfte das ein erster echter Schock sein, meint The Spectator:

„Insgesamt ist es ein großer diplomatischer Sieg für US-Präsident Joe Biden, der immensen Druck auf Berlin ausgeübt hatte, die Pipeline aufzugeben. ... Das vorläufige Aus für Nord Stream 2 ist in keiner Weise das, was Putin wollte. Es bedeutet nicht, dass er seinen Kurs ändern wird. Doch es markiert einen wichtigen Meilenstein im westlichen Zusammenwirken gegen die russische Aggression. Wenn Putin mit seinen Aktionen testen wollte, wie weit er und sein Militär gehen können, bevor sie einen bedeutenden Rückschlag erleiden, dann hat er gerade seinen ersten echten Schock durch eine schnelle und schmerzhafte wirtschaftliche Antwort erlebt.“