Musk-Übernahme: Quo vadis, Twitter?

Als neuer Eigentümer des Online-Dienstes Twitter hat Tesla-Chef Elon Musk tiefgreifende Neuerungen angekündigt: Ein Großteil der Mitarbeiter wurde entlassen, nun bittet man einige von ihnen zurückzukommen. Bestimmte Dienstleistungen, wie die Verifizierung von Nutzer-Identitäten, sollen Geld kosten. Gesperrte Konten wie das von Donald Trump sollen wieder freigegeben werden. Europas Presse diskutiert, wohin die Twitter-Reise geht.

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Der Standard (AT) /

Unternehmen versinkt im Chaos

Der Tesla-Chef ist dabei, den Kurznachrichtendienst an die Wand zu fahren, meint Der Standard:

„So selbstbewusst er sich selbst auch darstellen mag, Elon Musk irrt planlos durch den Social-Media-Irrgarten. Das schadet nicht nur seinem Ruf als Visionär und Unternehmer, sondern auch Twitter. In kürzester Zeit pausierten nicht nur der VW-Konzern und General Motors die Schaltung von Anzeigen. Wegen eines rasanten Anstiegs von Hassrede empfahl der Werbekonzern IPG, der unter anderem Coca-Cola und Spotify vertritt, seinen Kunden, lieber abzuwarten. Bleibt nur zu hoffen, dass der Tesla-CEO das Lenkrad rechtzeitig herumreißt – und Twitter nicht in den Abgrund steuert.“

Blick (CH) /

Nutzer wird vom Produkt zum Kunden

Die Boulevardzeitung Blick lobt die Pläne:

„Man könnte Elon Musk getrost als Irren mit ausgeprägter Hybris sehen. Wer kauft schon für 44 Milliarden Dollar ein Social-Media-Portal, entlässt massenhaft Personal, vergrault Werbekunden? … Man könnte Musk aber auch getrost als Visionär bezeichnen, der sich gerade ein neues Geschäftsmodell zimmert. … Bis heute stehen auf den sozialen Plattformen nicht die Nutzer im Zentrum, sondern die Werbekunden. Die einen hinterlassen Daten, die anderen greifen sie ab. … Ab sofort sollen die Nutzer im Zentrum stehen, dafür müssen sie blechen, erhalten aber einen auf sie zugeschnittenen Service. Der Nutzer wird vom Produkt zum Kunden. Muss das denn so schlecht sein?“

Le Monde (FR) /

Netzwerke demokratisch weiterentwickeln

Die Gestaltung von Social Media muss von der Gesellschaft kontrolliert werden, fordern der Informatiker Serge Abiteboul und der Generalsekretär des Nationalen Digitalrats Frankreichs, Jean Cattan, in Le Monde:

„Nein, wir werden die sozialen Netzwerke nicht von der Erdoberfläche verbannen, weil sie von einigen missbraucht werden oder weil einige Unternehmen sie zu Maschinen gemacht haben, die ihren Interessen dienen. Vielmehr werden wir uns gemeinsam daran machen, sie weiterzuentwickeln. … Wenn die sozialen Netzwerke unsere Demokratien berühren, dann müssen sie Gegenstand der Demokratie sein. Wenn sie das berühren, was wir sind, dann müssen sie unseren Entscheidungen unterliegen. Denn ja, wir sind die sozialen Netzwerke!“

Jinov Svet (SI) /

Kein produktiver Dialog mehr

Dass viele Twitter-Nutzer aus Protest das Netzwerk verlassen, interpretiert Sašo Ornik in seinem Blog Jinov Svet als Zeichen gesellschaftlicher Spaltung:

„So wie die Befürworter einer politischen Richtung die Zeitungen der anderen politischen Richtung nicht mehr lesen, kann es passieren, dass die Befürworter einer politischen Richtung in Zukunft keinen Kontakt mehr zu anderen sozialen Netzwerken haben werden, in denen die Personen anderer politischer, religiöser oder sonstiger Überzeugungen auftreten. ... Es fehlt nur noch, dass sich auch Unternehmen, Geschäfte und Sportteams auf diese Weise spalten.“

Contrepoints (FR) /

Freiheit wieder aufblühen lassen

Die Haltung zur Meinungsfreiheit hat sich dramatisch verändert, stellt Contrepoints bezüglich der Gegenreaktionen auf Musk fest:

„Sein einziges Verbrechen ist, ein 'Absolutist' der Meinungsfreiheit zu sein, was bis vor wenigen Jahren noch zum gemeinsamen politischen Erbe gehörte - von den klassischen Liberalen über die demokratische Linke bis hin zu den Libertären. Heute, in einer Welt, in der Julian Assange mundtot gemacht und die Vorzensur wieder eingeführt wird, ist das Eintreten für die Meinungsfreiheit zu etwas Exotischem geworden. Es ist an der Zeit, dass die Freiheit als Prinzip wieder auflebt, im Westen genauso wie anderswo.“

De Volkskrant (NL) /

Unbegrenzte Meinungsfreiheit untergräbt Demokratie

Musks Ankündigungen mögen gut klingen, sind aber gefährlich, warnt De Volkskrant:

„Unbegrenzte Meinungsfreiheit in den sozialen Medien fördert Polarisierung und Desinformation, untergräbt die Demokratie und führt auch zu einer großen Zunahme von Hass und allerlei Formen von Rassismus. ... Soziale Medien leben von Werbeanzeigen und wollen daher so viel Aufmerksamkeit wie möglich, so lang wie möglich und von so vielen Menschen wie möglich. Die meiste Aufmerksamkeit erzeugen aber Äußerungen, die Hass und Empörung auslösen. ... [Für Musk] hat jeder Teilnehmer an der Debatte dasselbe Rederecht. Genau diese Überzeugung führt dazu, dass Großmäuler und Einschüchterung in den sozialen Medien viel zu viel Macht und Einfluss bekommen.“

ABC (ES) /

Daten horten wie bei WeChat

Musks Vorbild für Twitter kommt aus China, vermutet ABC:

„Eines der Modelle, die Musk kopieren möchte, ist das von WeChat, einer chinesischen Messaging-App, mit der Nutzer Nachrichten schreiben, Rechnungen bezahlen, Ausweisdokumente speichern oder Dienstleistungen beauftragen können. Das Problem ist, dass WeChat wegen Spionage und gesellschaftlicher Kontrolle durch das chinesische Regime kritisiert wird. Dessen Erfolg lässt sich nur mit aggressiver Datennutzung wiederholen. Die Herausforderung für den Unternehmer ist auch deswegen beträchtlich, weil Twitter das bevorzugte Netzwerk von Journalisten und Politikern ist. Und die werden die Schritte von Musk sehr aufmerksam verfolgen.“

Le Figaro (FR) /

Zwischen Laisser-Faire und Zensur

Olivier Babeau, Vorsitzender des Thinktanks Institut Sapiens, zeigt in Le Figaro Verständnis für die Hoffnungen, die in Musk gesetzt werden:

„Neben wirklich hasserfüllten Äußerungen wird zunehmend auch die Meinungsverschiedenheit selbst als Gewalt angesehen und verboten. … Auf Twitter konnten die Entscheidungen, bestimmte Konten zu sperren, als willkürlich und, schlimmer noch, politisch orientiert erscheinen. … Musks Übernahme könnte der erste Akt einer spürbaren Reaktion gegen das schleichende parteiische und intolerante Abdriften der sozialen Netzwerke sein und eine Neuorientierung hin zu einer offeneren Handhabung der Debatten ankündigen.“

Interia (PL) /

Seltsame Begeisterung für Influencer-Oligarch

Interia wundert sich:

„Der reichste Mann der Welt übernimmt Twitter. Wir kontrollieren die Institutionen des Staates (und das zu Recht!), während sich das Geld jeder Kontrolle entzieht. ... Wir lehnen Politiker ab (manchmal zu Recht, manchmal reflexhaft), während uns Oligarchen zunehmend begeistern. Vor allem, wenn sie - wie Musk - etwas von einem Influencer an sich haben.“

Eco - Economia Online (PT) /

Ohne Katar und China wäre Deal nicht möglich gewesen

Eco verweist auf die finanziellen Abhängigkeiten des neuen Twitter-Eigentümers:

„Um die Übernahme von Twitter zu bewerkstelligen, war Elon Musk gezwungen, sich mit Investoren zu umgeben - der bekannteste davon ist der Staatsfonds von Katar, der nun auch einer der Eigentümer der einflussreichsten Plattform im öffentlichen Raum der USA ist. Aber das wird nicht einmal das größte Problem sein. Der Punkt ist, dass Elon Musks Geschäftsgeflecht auf gefährlichen Abhängigkeiten von Feinden des amerikanischen Staates, wie Russland und insbesondere China, beruht. Musk ist für das Wohlergehen von Tesla auf ausländische Märkte angewiesen, vor allem auf China.“

Sydsvenskan (SE) /

Potenzieller Konflikt mit der EU

Dass der EU-Kommissar für Binnenmarkt und Dienstleistungen, Thierry Breton, klargestellt hat, das Twitter auf dem hiesigen Markt EU-Regeln befolgen muss, wird für Musk eine zusätzliche Herausforderung, meint Sydsvenskan:

„Denn während er einerseits den Twitter-Nutzern lockerere Zügel verspricht und den früheren US-Präsidenten Donald Trump wieder auf die Plattform lassen will, muss sich Elon Musk andererseits auch an die Gesetze halten - nicht zuletzt an die des großen EU-Markts. Und er muss auch freundschaftliche Beziehungen zu seinen Werbekunden unterhalten: Am Freitag versprach er ihnen, dass die Plattform 'keine Höllenlandschaft wird, in der alles ohne Konsequenzen gesagt werden kann'. Die strenge Reaktion der EU-Kommission zeigt, dass er sich an dieses Versprechen halten muss.“