Corona-Pandemie: Unternimmt Europa genug?

Zur Bekämpfung der wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Pandemie hat die EZB neue Kredite für Banken angekündigt, um den Kreditfluss an die Wirtschaft zu stützen. Den Leitzins lässt sie unverändert. Brüssel setzt auf finanzielle Beihilfen von 7,5 Milliarden Euro, die später auf 25 Milliarden erhöht werden sollen. Kommentatoren sind skeptisch, ob diese Maßnahmen genügen.

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Irish Independent (IE) /

EZB darf Italien nicht im Stich lassen

Wie während der Finanzkrise 2012 muss die EZB alles in ihrer Macht Stehende tun, um vom Virus besonders betroffene Staaten zu unterstützen, appelliert The Irish Independent:

„Wenn der Abschwung in Italien tiefgreifend oder anhaltend ist, wird die Regierung in Rom möglicherweise keine Kredite mehr aufnehmen können, um den Ausbruch des Coronavirus zu bekämpfen und die öffentlichen Dienste am Laufen zu halten. Das darf nicht passieren. ... Mitte 2012 hielt der letzte Präsident der EZB, Mario Draghi, die damalige Krise in der Eurozone in Schach, als er 30 Monate nach ihrem Ausbruch erklärte, die Notenbank werde 'alles tun, was nötig ist'. Seine Nachfolgerin Christine Lagarde muss klar machen, dass auch sie 'alles' tun wird - und das so lange wie nötig -, um sicherzustellen, dass Italien und alle anderen Länder der Eurozone jene Geldmenge ausleihen können, die sie benötigen.“

Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Währungshüter können Krise nicht lösen

Notenbanken sind die falschen Adressaten, wenn es um die Bekämpfung einer Gesundheitskrise geht, findet die Neue Zürcher Zeitung:

„So laut die Forderung nach einer geldpolitischen Reaktion auf die Corona-Krise auch sein mag, die vorhandenen Möglichkeiten sind eng beschränkt. Notenbanken können weder den Unterbruch globaler Wertschöpfungsketten reparieren, noch können sie den Konsum anheizen, wenn die Leute sich fürchten, das Haus zu verlassen. Eine Geldpolitik des Nichtstuns mag derzeit Mut erfordern, zumal man sich dem Vorwurf aussetzt, in Zeiten grösster Not die Hände in den Schoss zu legen. ... Man mag sich in den vergangenen Jahren daran gewöhnt haben, dass stets die Notenbanken zu Hilfe eilten, wenn Schlimmes drohte. Wer Ähnliches auch heute erwartet, verkennt aber die Natur der Krise.“

La Stampa (IT) /

Macron weckt die schlafende EU

Europa müsse "stark und schnell" auf die Krise reagieren, forderte am gestrigen Donnerstag der französische Präsident Emmanuel Macron. Für La Stampa rüttelt Macron Europa endlich wach:

„Eine 'starke' europäische Antwort auf ein Virus, das keinen Pass hat: Das ist die Ohrfeige von Emmanuel Macron für ein Europa, das zögert. ... Die Beziehungen des französischen Präsidenten zu Italien waren oft schwankend. Gestern nicht. Vom Elysée-Palast kam die klare Botschaft der Solidarität mit Italien - ohne jemals unser Land zu erwähnen. Der Ball liegt jetzt bei Europa und dem Westen. Macron rief die G7 und Donald Trump aufs Spielfeld. Aber was kann man von einem Washington erwarten, das gerade seine Grenzen für EU-Bürger geschlossen hat? Es liegt an Brüssel, angemessen zu reagieren.“

The Spectator (GB) /

Viel zu wenig, viel zu behäbig

Das Hilfspaket der EU ist ein Tropfen auf den heißen Stein, schimpft The Spectator:

„Zur Bekämpfung des Virus wurde ein Fonds in Höhe von 25 Milliarden Euro vereinbart. Bei näherer Betrachtung zeigt sich jedoch, dass nur 7,5 Milliarden Euro umgehend freigegeben werden, der Rest später. Das ist ein Bruchteil dessen, was Großbritannien ausgibt - obwohl die Volkswirtschaft aller EU-Staaten insgesamt fünfmal größer ist. Eine 'Überprüfung' der Regeln für staatliche Beihilfen wird eingeleitet. Zudem soll eine gewisse Flexibilität bei den Fiskalregeln erwogen werden. All diese Maßnahmen sind weder dringlich noch Vertrauen erweckend. Bis die Bürohengste in Brüssel endlich etwas unternehmen, werden wir entweder alle infiziert sein oder das Virus wird sich von selbst aus dem Staub gemacht haben. “

El País (ES) /

Nur olle Kamellen

Wer alte Instrumente als neu verkauft, verspielt wichtiges Vertrauen, ärgert sich El País:

„Die Flexibilität der Defizitgrenzen bei 'außergewöhnlichen und temporären' widrigen Umständen ist keine Neuheit. Sie steht bereits im Text des Stabilitätspakts, seit man ihn 1997 beschloss. Was also offiziell mit Pauken und Trompeten angekündigt wird, ist nichts als die selbstverständliche und automatische Anwendung der dort vorgesehenen Maßnahmen: bei einer überraschenden Krise werden zusätzliche Ausgaben und eine außerplanmäßige Ausweitung des Defizits toleriert. Regierende sollten die Bürger nicht für dumm verkaufen. ... Die mutmaßlichen 7,5 (und bis zu 25) Milliarden Euro wecken Hoffnungen auf neue umfangreiche Investitionen. Aber es handelt sich nicht um frisches, zusätzliches Geld, sondern um umgewidmete Reste von nicht ausgeführten Projekten.“

Le Figaro (FR) /

Die EU braucht mehr Macht

Für mehr gemeinsame Maßnahmen braucht es mehr Europa, drängt Le Figaro:

„Die Staaten müssen der EU erlauben, viel mehr zu tun. Und zwar, indem sie ihr die Mittel verleihen, im Gesundheitsbereich eine echte Hilfs- und Kooperationspolitik der EU-Staaten zu koordinieren. Brüssel muss den Versand von Equipment und medizinischem Personal in die am schlimmsten von der Epidemie betroffenen Gebiete unterstützen. Zudem ist es Zeit, endlich einer medizinischen Forschung auf der Ebene der 27 den Weg zu bereiten und eine wirkliche Unabhängigkeit in Sachen medizinischer Versorgung zu garantieren. Die Rückverlagerung der Produktion von Arzneiwirkstoffen und Impfstoffen in die EU ist dringender nötig als zuvor. Infolge der Globalisierung von Industrie und Finanzwelt, aber auch von Viren, ist das Thema Gesundheit sehr wohl zu einer Herausforderung für die Souveränität Europas geworden.“

Expresso (PT) /

Nicht die Fehler von 2008 wiederholen

Auch Expresso fordert mit Blick auf die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise konzertierte und umfassende Maßnahmen aus Brüssel:

„Europa muss eine kollektive Antwort vorbereiten, um nicht wieder, wie bei der Krise 2008, jedes Land alleine, mit jeweils unterschiedlichen Instrumenten, der Krise gegenüberzutreten zu lassen. ... Europa muss jetzt einen Plan für einen europäischen Wirtschaftsaufschwung entwickeln und darauf vorbereitet sein, wenn die Krise kommt. ... Wenn die gleichen Fehler wie 2008 gemacht werden, können wir das europäische Projekt vergessen. Die Geister, die uns seit mehr als einem Jahrzehnt geplagt haben, werden ein für alle Mal die Macht übernehmen. “