Kein Eklat beim Nato-Gipfel: Grund zum Aufatmen?

Die Mitgliedsstaaten der Nato haben beschlossen, ihre Militärausgaben mittelfristig auf fünf Prozent des BIP zu erhöhen. Für Erleichterung sorgte die klare Aussage von US-Präsident Donald Trump zur gegenseitigen Beistandsverpflichtung im Artikel 5 des Nato-Vertrags: "Ich stehe dazu, deshalb bin ich hier." Über Russlands Krieg gegen die Ukraine wurde beim Gipfel in Den Haag vergleichsweise wenig gesprochen. Europas Presse bilanziert.

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15min (LT) /

Wenigstens ist der Kapitän wieder am Ruder

Politologe Linas Kojala analysiert in 15min:

„Die Nato gleicht einem großen Schiff, das schwankend durch stürmische Gewässer steuert. Die USA als Kapitän wirken dabei nicht gerade vertrauenswürdig. Manche würden am liebsten von Bord gehen, doch weit und breit ist kein anderes Schiff in Sicht. Und selbst der Kapitän beginnt zu begreifen, dass es gar nicht so schlecht ist, das Steuer in der Hand zu behalten. Also schaukeln wir weiter, mit Misstrauen in den Augen – und bewegen uns trotzdem vorwärts.“

Berlingske (DK) /

Jetzt bleiben kleinere Sorgen

Die Zitterpartie hat einen guten Abschluss gefunden, freut sich Berlingske:

„Der Nato-Gipfel endete ohne größeres Drama. Trumps Signale [zu Artikel 5] sind eine dringend notwendige Korrektur für jene, die ein Bild von der Nato in Auflösung zeichnen wollten. ... Noch immer offen sind allerdings Fragen zur Ukraine und zur amerikanischen Bereitschaft, das kriegsgeschüttelte Land zu unterstützen. ... Aber es handelt sich letztlich um eine kleinere Sorge als die, die wir vor diesem Nato-Gipfel hatten. Das dürfte ganz Europa aufatmen lassen.“

The Times (GB) /

Umgarnen um jeden Preis

Die anderen Nato-Mitglieder machen sich regelrecht abhängig von Trumps Launen, beobachtet The Times:

„Um den US-Präsidenten zu besänftigen, kürzten sie die Agenda, ließen die Ukraine außen vor, spielten die Bedrohung durch Russland herunter, machten leere Versprechungen und vermieden dringende Entscheidungen. ... Die intensive Konzentration auf Trumps Stimmung und Wortwahl zeigt, wie anfällig das Bündnis für die Launen des US-Präsidenten ist. Die Nato ist auf die USA angewiesen, um zahlreiche Lücken zu schließen. Dazu gehören knappe Vorräte an Munition und Ersatzteilen, Luft- und Raketenabwehr, Fernwaffen sowie wichtige 'Enabler' wie Geheimdienst und Logistik. Das Beste, was man sagen kann, ist: Wenn die Verbündeten Trumps Vorgehen verwirrend finden, dann wird Putin das auch tun.“

Ouest-France (FR) /

Nationale Armeen sind keine europäische Verteidigung

Ouest-France beschäftigt eine grundlegende Frage:

„Es droht die Gefahr, dass man die einzelnen Nationen aufrüstet und nur so tut, als ob man Europa aufrüsten würde. Es entstünde ein aufgerüstetes Europa ohne europäische Armee. Das steht im Gegensatz zu dem Projekt, das nach dem Krieg entstanden ist. Die Gefahr ist nicht unrealistisch, und die Frage stellt sich genau jetzt. Wenn viele Länder die Wehrpflicht wieder einführen (sogar Deutschland denkt darüber nach), tun sie das, um ein Gefühl der gemeinsamen europäischen Verteidigung zu vermitteln – oder eigentlich nur, um ihre eigene Flagge zu verteidigen? In 15 oder 20 Jahren, wenn die an diesem Mittwoch in Den Haag beschlossenen Maßnahmen Realität geworden sind, wird es zu spät sein, diese Fragen zu stellen.“

Kauppalehti (FI) /

Südeuropa muss solidarisch sein

Kauppalehti fordert:

„Als Musterschüler verspricht Finnland, seine Verteidigungsausgaben auf das von Trump angestrebte Niveau anzuheben, obwohl unklar ist, woher das Geld kommen soll. Die Situation direkt an der Ostgrenze ist eine andere als die in Spanien, weit im Süden, das bereits gegen die Erhöhung der Nato-Ausgaben rebelliert. Es gibt viel zu tun, damit die anderen nicht tatenlos zusehen, wie die russischen Grenzländer Maßnahmen zur Stärkung ihrer Abwehrkräfte ergreifen. Während der Corona-Pandemie erhielten die Länder Südeuropas großzügige Unterstützung. Jetzt ist eine ähnliche Solidarität erforderlich, um auf die russische Bedrohung zu reagieren.“

De Standaard (BE) /

Klimaschutz und Sicherheit gehören zusammen

De Standaard unterstützt die kritische Haltung Spaniens gegenüber dem Fünf-Prozent-Ziel und findet, Belgien solle sich dessen Forderung für mehr Klimaschutz zum Vorbild nehmen:

„Klimakatastrophen führen zu Kriegen und Kriege sind Klimakatastrophen. Nach nur drei Jahren hat der Krieg in der Ukraine mehr zusätzliches CO₂ ausgestoßen als ein Land wie Spanien pro Jahr, ganz zu schweigen von den unermesslichen Umweltschäden. Wenn wir also eine belgische Interpretation der Nato-Forderungen haben wollen, ist es vielleicht gar nicht so weit hergeholt, den Klimaschutz der Fünf-Prozent-Norm zuzuordnen.“