Anerkennung von Palästina: Sinnvoll oder nicht?

Staatspräsident Emmanuel Macron hat bei einer UN-Konferenz in New York Frankreichs Anerkennung von Palästina als Staat erklärt und sie als notwendig für den Weg zum Frieden bezeichnet. Zuvor hatten schon Kanada, Großbritannien, Australien und Portugal diesen Schritt vollzogen, Belgien, Malta und Luxemburg folgten. Bei dem Treffen in New York wurde über ein Ende des Gaza-Krieges und das Ziel einer Zwei-Staaten-Lösung beraten.

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Le Figaro (FR) /

Frankreich gilt nichts mehr in Israel

Le Figaro kritisiert, dass Paris seinen Einfluss auf Israel eingebüßt hat, ohne damit den Frieden voranzubringen:

„So gut eine Präsidentenrede auch begründet sein mag, sie wirkt nicht allein durch die Magie wohlgewählter Worte oder ehrlicher Absichten. Frankreich hatte einst echten Einfluss auf Israel. Heute hat es ihn verloren, ohne auf dem Weg zu einem gerechten und dauerhaften Frieden auch nur ein Stück vorangekommen zu sein. Im Westen hat nur noch Amerika Einfluss auf die Regierung in Jerusalem – und das ist bedauerlich. General de Gaulle pflegte zu sagen: Gute Politik macht man nur auf der Grundlage von Realitäten. Ein Grundsatz, den das heutige Frankreich gut anwenden könnte.“

NRC (NL) /

Mit Netanjahu und Trump ist kein Staat zu machen

Die Anerkennung wird erst in der Zukunft greifen, analysiert NRC:

„Die Anerkennung wird in der Praxis nicht sofort etwas bedeuten, aber sie hält die Idee von zwei Staaten am Leben und ist eine Antwort auf die israelische Belagerung des Gazastreifens. ... Angesichts der israelischen Belagerung des Gazastreifens ist alle Aufmerksamkeit für die Zukunft der Palästinenser wichtig, und jetzt gibt es auch Grundlinien für eine Zweistaatenlösung. Doch vorläufig ist ein unabhängiger palästinensischer Staat nicht realisierbar – jedenfalls nicht mit der derzeitigen Regierung von Benjamin Netanjahu, dessen entschlossener Widerstand von Donald Trump unterstützt wird.“

Kleine Zeitung (AT) /

Staat nur ohne Hamas

Nach Ansicht der Kleinen Zeitung ist das Pferd von hinten aufgezäumt worden:

„Mit der Anerkennung wollen Großbritannien und die anderen Staaten nicht zuletzt klar machen, dass Israel mit seiner kompromisslosen Kriegsführung alle Grenzen überschreitet, aber für die Palästinenser werden keine Bedingungen aufgestellt. So spricht [Großbritanniens Premier] Starmer zwar davon, dass die Hamas in einem neuen Staat keine Rolle haben kann, aber das ist Rhetorik und kein echtes Druckmittel. Klüger wäre es wohl gewesen, die Sache vom Kopf auf die Füße zu stellen: Die Staaten erkennen Palästina sofort an – wenn die Hamas das Feld räumt.“

De Volkskrant (NL) /

Letzte Chance für diplomatischen Weg

De Volkskrant argumentiert:

„Die Idee ist, dass den Palästinensern mit der Anerkennung ihres eigenen Staates eine Zukunftsperspektive geboten wird mit einer neuen Verwaltung, an der die Hamas nicht beteiligt sein darf. ... Die Regierung Netanjahu ist auf Kollisionskurs, der keinerlei Perspektiven bietet; nicht für das palästinensische Volk, nicht für die Geiseln, nicht für die Region, aber auch nicht für die israelische Bevölkerung, die damit für immer von selbst geschaffenen Feinden umgeben bleibt. Die Anerkennung Palästinas ist mehr als eine symbolische Geste, sie ist vielleicht die letzte Chance für einen diplomatischen Prozess, der seit Jahrzehnten überfällig ist. “

Le Courrier (CH) /

Schöne Worte reichen nicht

Es braucht mehr als symbolische Maßnahmen, fordert Le Courrier:

„Die Anerkennung Palästinas ist ein notwendiger Schritt, doch wenn sie nicht von politischen und wirtschaftlichen Sanktionen gegen die Regierung von Benjamin Netanjahu begleitet wird, bleibt sie lediglich ein Deckmantel. Während die Mächtigen verhandeln, regnen Bomben. ... Dabei gibt es andere, weniger symbolische Maßnahmen: die sofortige Einstellung aller Waffenlieferungen an Israel, die Beendigung jeglicher wirtschaftlicher Beziehungen – insbesondere durch die Aufkündigung des EU-Assoziierungsabkommens – und die Unterstützung eines umfassenden Boykotts israelischer Exportprodukte. ... Der diplomatische Weg der Anerkennung kann und darf nur ein Anfang sein.“

Der Spiegel (DE) /

Teil eines Nachkriegsplans

Der Spiegel kommentiert:

„In einer Zeit, in der der palästinensische Staat jeden Tag ein Stück weiter schrumpft, wäre die Anerkennung durch ein politisches Schwergewicht wie Deutschland ein wichtiges Signal. Bei dem Tempo, mit dem Israels Regierung Fakten schafft, zementiert das von Deutschland propagierte Abwarten diese Einstaaten-Realität. Für eine Zweistaatenlösung ist es bald zu spät. ... [B]ei der Anerkennung Palästinas [geht es] um mehr als nur Symbolik. Die Initiative enthält einen Plan für Gaza, sobald die Waffen schweigen. ... Es ist richtig, dass die Weltgemeinschaft sich um einen Nachkriegsplan für Gaza bemüht und nach neuen Ansätzen für einen Friedensprozess sucht, der nicht mehr von israelischem Entgegenkommen abhängt.“

Abbas Galliamow (RU) /

Netanjahus Gelegenheit zum Machterhalt

Der in Israel lebende Politologe Abbas Galliamow geht auf Facebook davon aus, dass Netanjahu die Anerkennungswelle innenpolitisch sehr gelegen kommt:

„Mir scheint, Netanjahu könnte jetzt vorgezogene Wahlen ansetzen. ... Israels Premier hat endlich ein Thema bekommen, bei dem die Mehrheit der israelischen Bürger mit ihm einig ist. ... Zahlreiche Umfragen zeigen, dass nach den Ereignissen des 7. Oktober eine deutliche Mehrheit der Israelis, die zuvor der Perspektive einer Zwei-Staaten-Lösung tolerant gegenüberstand, ihre Meinung radikal geändert hat und nun dagegen ist. Netanjahu muss sich nur noch als Hauptkämpfer gegen eine 'linke Weltverschwörung' präsentieren – und da sich diese in Form von Beschlüssen zur Anerkennung Palästinas materialisiert hat, wird ihm dies ohne große Mühe gelingen.“

Expresso (PT) /

Verwechslung von Wunsch und Realität

Die Anerkennung zum jetzigen Zeitpunkt bringt Palästina gar nichts, gibt der Soziologe Pedro Gomes Sanches in Expresso zu bedenken:

„Die Anerkennung (die ich befürworte, da ich weiterhin die Zwei-Staaten-Lösung unterstütze) sollte eine Folge der (positiven) Haltung der Palästinenser (und ihrer 'Regierungen') sein und nicht als Strafe für Israel dienen. Will man Druck auf Israel ausüben? Dann fordert man beispielsweise den Rückzug aus den Siedlungen. Die Anerkennung Palästinas unter diesen Bedingungen (oder besser gesagt ohne Bedingungen) ist kein Akt der Gerechtigkeit, sondern ein Fehler. Es ist eine Verwechslung von Wunschvorstellung und Realität.“

Spotmedia (RO) /

Politische Geste der Verzweiflung

Auf eine neue Dynamik hofft Spotmedia:

„Vor dem Hintergrund des Krieges im Gazastreifen wird die Anerkennung des Palästinenserstaates nicht sofort Frieden bringen, aber sie könnte internationale Gespräche über eine dauerhafte Lösung wieder in Gang bringen. Die Befürworter der Anerkennung hoffen, dass diese Welle der Unterstützung die diplomatische Ordnung wieder aufrütteln und einen seit langem vernachlässigten politischen Prozess wieder anschieben wird. Da Israel darauf nicht wirklich reagiert und auch die USA weiter blockieren, scheint die Anerkennung des Palästinenserstaates nicht nur eine politische Geste zu sein, sondern auch eine globale Erklärung der Verzweiflung.“

Le Monde (FR) /

Wichtige Botschaft an zwei Völker

Auch Frankreich will am Montag bei einem Gipfeltreffen am Rande der UN-Vollversammlung Palästina anerkennen. Das allein ist zwar unzureichend, aber unverzichtbar, urteilt Le Monde:

„Es ist eine Botschaft an zwei Völker und zielt darauf ab, den Stärkeren, der in seiner schmerzhaften Geschichte gefangen ist, aus der Illusion der Allmacht zu befreien, und denen, die in Gaza und im Westjordanland unaufhörlich darunter leiden, einen Funken Hoffnung zu geben. ... Die konkreten Grenzen dieser Initiative sind angesichts der kompromisslosen Haltung von Benjamin Netanjahu, der von Donald Trump blind unterstützt wird, offensichtlich. Doch Abwarten kommt heute einer Erklärung der Ohnmacht gleich. … Die Anerkennung wird natürlich nicht ausreichen, um Frieden zu schaffen. ... Darauf zu verzichten, würde dagegen die Zerstörung der Zwei-Staaten-Lösung beschleunigen und einen endlosen Krieg garantieren.“

The Guardian (GB) /

Es muss viel mehr geschehen

Die Anerkennung reicht bei Weitem nicht aus, glaubt The Guardian:

„Dieser diplomatische Wandel ist nur symbolisch; die USA werden weiterhin die Vollmitgliedschaft Palästinas in der Uno blockieren. Im besten Fall ist dies eine konzertierte Aktion, um den Krieg zu beenden. ... Die zynischere Einschätzung lautet, dass die Regierungen lediglich die Wut der Bevölkerung beschwichtigen wollen und substanziellere Schritte vermeiden. ... Großbritannien und die europäischen Staaten müssen alle Waffenlieferungen und militärische Zusammenarbeit einstellen, Handelsprivilegien streichen und internationale Rechenschaftspflicht einfordern. Eine Fata Morgana eines palästinensischen Staates zu kreieren, ohne sinnvolle Maßnahmen zu ergreifen, um die Vernichtung zu stoppen, wäre grausam, feige und eigennützig.“