Ukraine-Krieg: Was treibt die Verhandlungen an?
Die Gespräche zur Beilegung des Ukraine-Kriegs gehen trotz des Skandals um Telefonmitschnitte der Unterhändler weiter. Am Sonntag besprach sich eine ukrainische Delegation mit US-Vertretern in Florida, diese Woche sollen nun amerikanische Unterhändler mit den westlichen Vorschlägen nach Moskau reisen. Europas Presse erörtert bremsende und treibende Faktoren des Friedensprozesses.
Kriegsmüdigkeit liegt in der Luft
Nach Ansicht des Tages-Anzeiger gibt es für keine der Kriegsparteien mehr etwas zu gewinnen:
„Fast vier Jahre hat dieser Krieg bereits gedauert, bald ist das länger als der Erste Weltkrieg. Wer hätte sich das je vorzustellen vermocht? Kriegsmüdigkeit liegt in der Luft. Die Toten, die Verstümmelten, die Verarmten. Dass Trump diesen Krieg hasst, weil er es hasst, Geld zu verlieren, mag sich als ein Vorteil erweisen. Er will ein Ende um jeden Preis. Entscheidend dürfte jedoch etwas anderes sein: dass Ukrainer und Russen beide merken, dass es für sie nichts mehr zu gewinnen gibt.“
Trump braucht sinkende Weltmarktpreise
Der US-Präsident zielt mit seinen Friedensbemühungen auch auf eine Senkung der Lebenshaltungskosten im eigenen Land, meint Eco:
„Der Inflationsanstieg in den Jahren nach der Pandemie war ein wichtiger Faktor für Bidens Niederlage und Trumps Sieg. Das Problem der Lebenshaltungskosten besteht weiterhin und war ausschlaggebend für die jüngsten Siege der Demokratischen Partei bei den Wahlen in New York [und New-Jersey]. Das Ende des Konflikts in der Ukraine würde nun russisches Öl und Erdgas sowie ukrainisches Getreide und Düngemittel wieder auf den internationalen Markt bringen, wodurch die Preise sinken und die Inflation nachlassen wird.“
Russisches Vermögen endlich anzapfen
Die EU hat immer noch einen großen Trumpf in der Hand, erinnert Financial Times:
„Das ist die Kontrolle über den Großteil der seit 2022 eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank. ... In letzter Zeit wurde die EU von Belgien, wo der Großteil der Vermögenswerte gehalten wird, blockiert, da es befürchtet, zur Kasse gebeten zu werden, wenn Russland eines Tages in der Lage sein sollte, das Geld zurückzuerhalten. Der Instinkt der EU, das Völkerrecht aufrechtzuerhalten, ist gut begründet. Da jedoch nicht nur Russland, sondern nun auch die Trump-Regierung internationale Normen mit Füßen tritt, muss sie außergewöhnliche Maßnahmen in Betracht ziehen, um die Ukraine und ihre eigene Sicherheit zu unterstützen.“
Europas Sturheit ist kontraproduktiv
Naftemporiki hält Trumps Friedensplan für eine pragmatische Lösung und kritisiert die prinzipielle Haltung der Europäer:
„Sich selektiv auf den Grundsatz der territorialen Integrität und der staatlichen Souveränität in der Ukraine zu berufen, wenn man denselben Grundsatz in den meisten Fällen mit Füßen tritt, ist einfach nur Heuchelei. Werfen wir einen Blick auf Zypern [mit dem von der Türkei besetzten Norden]. Der 'Verrückte mit den orangenen Haaren' und der 'paranoide Diktator im Kreml' sind, wenn sie ihre Interessen, die Risiken und das Kräfteverhältnis abwägen, viel besonnener als die entfesselten Europäer. Der vorliegende Entwurf bildet die Grundlage für einen neuen Vertrag über langfristige Sicherheit und Stabilität zwischen Europa, Russland und den USA.“
Putin wird nicht neben Selenskyj unterschreiben
Der Machthaber im Kreml wird immer einen Grund gegen ein Abkommen finden, befürchtet der Tages-Anzeiger:
„Der 28-Punkte-Plan hat einmal mehr verdeutlicht, wie sicher sich der russische Autokrat Wladimir Putin seiner Sache ist. Wo ist der Druck, der nötig ist, damit schlussendlich auch Putin mitmacht? Paradoxerweise könnte er eine Vereinbarung am Ende just darum scheitern lassen, weil Selenskyj sie unterschreibt. Putin hat Selenskyj die Legitimität als Oberhaupt der Ukraine abgesprochen und ihm lediglich die Teilnahme an Verhandlungen zugestanden, als Berater. Ein Abkommen, auf dem Selenskyjs Unterschrift als Präsident steht, weigert er sich zu unterzeichnen.“
Macht des Kremls würde im Frieden bröckeln
The New Times plädiert für eine langfristige Perspektive:
„Damit der Westen in Zukunft einen Erfolg im Aufbau einer friedlichen Welt erwarten kann, müssen die Russen von Putin getrennt werden, die russische Gesellschaft vom Staat. ... Aber zweifellos muss zuerst das Sterben von Menschen aufhören. Allmählich muss die Verhärtung und Verrohung verschwinden. Das ist für Putin unvorteilhaft. Deshalb sind jedwede Anstrengungen zur Koordinierung eines Friedensplans sinnvoll. Der Kreml wird das für einen Sieg halten. Aber ein Zustand des Friedens ist bereits die Aushöhlung des Systems Putin, das auf der industriellen Generierung von Chaos und Krisen beruht.“
Washington wird Europa die Schuld geben
Dagens Nyheter fällt es schwer, an ein friedliches Ende zu glauben:
„Putin ist nicht an einer souveränen Ukraine interessiert. Die Ukrainer wollen nicht auf den Knien leben. Möglicherweise kann Rubio Kyjiw und dem Rest Europas helfen, Zeit zu gewinnen. Aber wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es wahrscheinlich nur eine Frage der Zeit ist, bis Donald Trump uns die Schuld für alle gescheiterten 'Friedensbemühungen' gibt und sich zurückzieht.“
Trump sucht Ruhe an der eigenen Front
Trumps Friedensbemühungen sind für Maszol eher innenpolitisch zu verstehen:
„Trump bräuchte dringend einen spektakulären internationalen Erfolg, weil die Probleme zu Hause immer größer werden. Das Maga-Lager ist zunehmend empört und gespalten, Trumps Popularität ist zur Zeit am Boden, und wenn er nicht schnell etwas unternimmt, wird sie noch weiter sinken. Er muss schnell etwas Großes vorweisen. Im Moment gibt es dafür zwei Möglichkeiten: Venezuela angreifen oder in der Ukraine Frieden diktieren. Wenn er Venezuela angreift, wird die Maga-Basis noch wütender. … Statt eines mehr als unpopulären Krieges sollte lieber Frieden in der Ukraine geschlossen werden, sagt sich der US-Präsident.“
Auch Peking wird mitreden
Ein Telefonat zwischen den Präsidenten Chinas und der USA am Montag ist für La Stampa ein Zeichen dafür, dass die Ukraine zunehmend zum Spielball der Großmächte wird:
„Die neuen Verhandlungsentwürfe zwischen Washington und Kyjiw, Moskaus Reaktionen und vor allem das Telefonat zwischen Xi und Trump zeigen, dass der Konflikt nun Teil des globalen Wettstreits um die Definition von Machtverhältnissen und Einflusssphären ist. Das Telefonat war keine rein formale Geste, sondern ein entscheidender strategischer Schritt, der darauf abzielte, in einem möglicherweise kritischen Moment des Krieges in der Ukraine Absichten und rote Linien zu markieren. ... Das Telefonat enthält eine weitergehende Botschaft: eine zunehmende Konzentration der globalen Macht zwischen den USA, China und Russland.“
Kyjiw hat zwischen Pest und Cholera entschieden
Die Ukraine hat jetzt nur noch die Wahl zwischen zwei schlechten Alternativen, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„[S]ich der offenen Erpressung durch Trump zu beugen, der die Verhandlungsposition Kiews gegenüber Moskau mit unfassbaren Zugeständnissen und Forderungen verschlechterte – oder in eine noch schlimmere militärische und politische Lage zu kommen, in der Trump der 'undankbaren' Ukraine sogar noch die letzte Unterstützung entzöge ... . Vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt, hat Kiew sich für den Kotau vor Trump entschieden, wozu auch die Europäer raten, die in der Konfrontation mit Putin selbst auf den Beistand der USA angewiesen sind.“