Ukraine: Chance für Verhandlungen oder nur Bluff?

Auf eine von Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen und den USA gestellte Forderung einer sofortigen 30-tägigen Waffenruhe in der Ukraine ist der russische Präsident nicht eingegangen. Putin forderte stattdessen direkte Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland. Aus Kyjiw antwortete Präsident Selenskyj prompt, er erwarte Putin persönlich am Donnerstag in der Türkei. Europas Presse ordnet ein.

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Le Figaro (FR) /

Schrittweise Rückkehr der Diplomatie

Le Figaro zieht drei Lehren:

„Erstens: Die Diplomatie kommt in Gang – vielleicht nur langsam, aber es ist eine Entwicklung, die es zu unterstützen gilt. Zweitens: Die Europäer kehren ins Spiel zurück – begünstigt durch Trumps Scheitern und seinem Versuch, sich von der Ukraine abzuwenden. Das überträgt ihnen eine große Verantwortung, um Kyjiw zu unterstützen und gleichzeitig wieder ein akzeptabler Gesprächspartner für Moskau zu werden. Drittens: Die amerikanische Kehrtwende ist bemerkenswert, aber sie bleibt in diesem Stadium vor allem taktisch und stellt Trumps strategisches Ziel einer Aussöhnung mit Putin nicht infrage.“

Wolodymyr Fessenko (UA) /

Ein Buhlen um Trumps Gunst

Politologe Wolodymyr Fessenko analysiert auf Facebook:

„Selenskyjs Ansage, er werde am 15. Mai in der Türkei persönlich auf den Kremlchef Wladimir Putin warten, ist die Fortsetzung eines rege betriebenen taktischen Spiels rund um das Thema Friedensgespräche. Es geht nicht um Verhandlungen, sondern um die Bereitschaft zu Verhandlungen. Formal ist es ein Appell an Putin, doch tatsächlich handelt es sich um ein Signal an den Hauptschiedsrichter aus Washington – an US-Präsident Donald Trump. Auch Putins Erklärung mit dem Angebot zu Verhandlungen in Istanbul ist im Grunde ebenfalls für Trump gedacht.“

Dagens Nyheter (SE) /

Russland beharrt auf alten Forderungen

Dagens Nyheter ist pessimistisch:

„Es ist bezeichnend, dass Putin zwar behauptet, er schlage in Istanbul bedingungslose Verhandlungen vor, diese aber in Wirklichkeit an zahlreiche Bedingungen geknüpft sind: Putins außenpolitischer Berater Juri Uschakow sagt, die Gespräche sollten sich an den Verhandlungen orientieren, die im Frühjahr 2022 in Istanbul stattfanden, wo Russland unter anderem die ukrainische Neutralität und strenge Beschränkungen für die ukrainischen Verteidigungskräfte forderte. Moskau verlangt außerdem, dass die 'Ursachen des Krieges' angegangen werden. Damit will der Kreml zum Ausdruck bringen, dass die Nato-Erweiterung die Schuld am russischen Angriffskrieg trägt.“

Abbas Galliamow (RU) /

Putin kaschiert sein Einlenken

Politologe Abbas Galliamow erklärt auf Facebook, warum Moskau Verhandlungen anbietet:

„Manche schreiben jetzt, Putin habe 'den von der Ukraine angebotenen Waffenstillstand abgelehnt'. Wie haben sie sich das denn vorgestellt? Dass Putin sich hinstellt und sagt: 'Ich akzeptiere Selenskyjs Vorschlag?' Kein Politiker würde so etwas tun. In der Politik darf man nicht den Zweitbesten spielen. ... Man muss den Vorschlag des Gegners ignorieren und einen eigenen – leicht abgewandelten – Vorschlag vorlegen, der originell aussieht und nicht wie eine Kopie des gegnerischen Vorschlags. Das sind Grundregeln der öffentlichen Politik, und Putin kennt sie. Dennoch musste Russlands Präsident faktisch dem Vorschlag von Selenskyj zustimmen. Denn der wurde von Trump unterstützt.“

Naftemporiki (GR) /

Nicht nur an die kommenden Monate denken

Auf langfristiges Denken pocht Naftemporiki:

„Die europäischen Politiker müssen an der Ausarbeitung eines kohärenten Plans für einen dauerhaften Frieden in Europa arbeiten, der nicht nur die Zukunft der Ukraine, sondern auch die Sicherheit des gesamten Alten Kontinents sowie die Stellung Russlands beeinflussen wird. Denn wenn der Friedensprozess irgendwann abgeschlossen ist, zum Guten oder zum Schlechten, wird Russland geografisch immer noch dort sein, wo es heute ist. Dasselbe gilt für Europa.“