Was ist das Fazit des Nato-Gipfels?

Auf ihrem Gipfel in Den Haag haben die Nato-Mitgliedsstaaten beschlossen, ihre Militärausgaben mittelfristig auf fünf Prozent des BIP zu erhöhen. Das entspricht einer Forderung von US-Präsident Trump, der sich umgekehrt klar zur gegenseitigen Beistandsverpflichtung nach Artikel 5 des Nato-Vertrags bekannte. Der Ukraine-Krieg war diesmal nur ein Randthema. Die Meinungen darüber, was die wiedergefundene Einigkeit wert ist, gehen stark auseinander.

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Le Quotidien (LU) /

Schutz vor Moskau – aber auch vor Washington

Positiv beurteilt Le Quotidien die angekündigte Aufrüstung:

„Ist das eine gute Sache? Ja. Die eigene Verteidigung mit seinen Verbündeten zu sichern bedeutet auch, seine Zukunft und seine Unabhängigkeit auf einem Planeten zu sichern, auf dem die Versuchung gewaltsamer Annexionen immer größer wird, auf dem man mit Gewalt die eigenen Spielregeln durchsetzen und mit Kanonendonner diplomatische Positionen vorantreiben kann. Und schauen Sie nicht nur nach Moskau, auch der amerikanische Verbündete scheint eine gewisse Lust auf diese Art von Politik zu haben. Die Europäer haben Ja zu mehr Schutz für ihren Kontinent gesagt, werden aber die Diktate aus Washington und die Expansionsbestrebungen von Donald Trump, der immer noch nach Grönland trachtet, nicht so schnell vergessen.“

Trends-Tendances (BE) /

Ohne strategische Linie

Die Einigkeit der Nato ist eine bloße Inszenierung, um Trumps Geltungsbedürfnis zu bedienen, kritisiert Trends-Tendances:

„Jeder weiß, dass die Zahl von fünf Prozent eine Fantasie ist. Aber wir tun so, als ob, um Trumps Tweets zu vermeiden. Ist das heute die strategische Linie der Nato? Was sagt uns diese Inszenierung im Kern? Dass wir lieber so tun, als ob wir gehorchen, als selbst zu denken. Dass wir uns an einer vom Himmel gefallenen Zahl orientieren, anstatt eine echte europäische strategische Vision zu entwickeln. ... Und währenddessen bleibt die eigentliche Frage unbeantwortet: Verteidigen wir noch Europa oder nur das Ego desjenigen, der am lautesten schreit?“

Hospodářské noviny (CZ) /

Jetzt müssen den Worten Taten folgen

Für Hospodářské noviny kann nur ein vorläufiges Resümee gezogen werden:

„Der nächste Nato-Gipfel findet 2027 in Tirana in Albanien statt, wir haben also zwei Jahre Zeit zum Durchatmen. Wenn dies nicht durch einen wirklich effektiven Aufbau gemeinsamer Streitkräfte unterstützt wird, die eine starke Abschreckung bewirken, bekommen wir ein Potemkinsches Dorf. Jeder potenzielle Gegner – Russland, China oder sonst jemand – wird dies leicht erkennen und zu seinem Vorteil nutzen. Der Gipfel in Den Haag hat den Europäern somit eine Verschnaufpause verschafft und ihnen eine weitere Chance gegeben, sich ernsthaft um ihre eigene Sicherheit zu kümmern.“

Corriere della Sera (IT) /

Europa vergisst sich selbst

Corriere della Sera macht sich Sorgen:

„Es sind düstere Tage für die Europäische Union, die die Bitterkeit zu spüren bekommt, an der Peripherie der Welt zu stehen. Unfähig, angesichts von Trumps imperialer Unhöflichkeit auch nur einen Hauch von Würde zu zeigen. Eifrig bemüht, es ihm recht zu machen. ... Und nun gezwungen, mehr aufzurüsten, als man will. ... Es ist zu befürchten, dass eine politisch so schwache EU sich mit der internationalen Vorherrschaft der Gewalt abfinden wird. Sie wird den Rechtsstaat nicht verteidigen, auf den sie sich gründet, eine Voraussetzung für eine lange und historische europäische Friedensperiode. Den Kern ihrer Identität. Die Zivilisiertheit vieler ihrer Gesetze gegenüber der Willkür derjenigen, die das Gewicht ihrer wirtschaftlichen und nicht zuletzt militärischen Macht auf den Tisch legen.“

Dserkalo Tyschnja (UA) /

Ukraine hielt sich bewusst im Hintergrund

Kyjiw sah sich beim Nato-Gipfel zu Zurückhaltung gezwungen, schreibt Dserkalo Tyschnja:

„Unter Berücksichtigung von Trumps Persönlichkeit und seiner Haltung gegenüber Wolodymyr Selenskyj und der Ukraine hat Kyjiw diesmal keinen Druck auf die Partner ausgeübt, um eine Festschreibung der Nato-Beitrittsperspektive im Abschlussdokument zu erzwingen. Das wäre kontraproduktiv gewesen und hätte die Kluft zwischen der Ukraine und den USA noch vergrößert. Formal gab sich die Bankowa [das ukrainische Präsidialamt] mit dem von Nato-Generalsekretär Mark Rutte verkündeten Ansatz einverstanden: Die Beschlüsse früherer Gipfeltreffen über den unumkehrbaren Weg der Ukraine in die Nato gelten weiterhin.“

De Telegraaf (NL) /

Das Geld ist noch lange nicht da

De Telegraaf sieht Probleme bei der Umsetzung des Fünf-Prozent-Ziels:

„Insbesondere wenn die internationalen Spannungen nachlassen und andere Regierungen mit anderen Prioritäten an die Macht kommen, könnte es verlockend sein, die Wachstumspläne etwas weniger fanatisch zu verfolgen. ... Trump mag zwar höhere Ausgaben von den europäischen Nato-Ländern erzwungen haben, aber das bedeutet noch nicht, dass das Geld bereits zur Verfügung steht. Mehr noch: Die Diskussion darüber, woher es kommen soll, muss noch geführt werden. Die politischen Parteien in den Niederlanden stellen derzeit vor allem Hindernisse in den Weg: Sie reißen sich geradezu darum, zu erklären, wo die zusätzlichen Milliarden nicht eingespart werden dürfen.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Gut, dass wir dabei sind

Helsingin Sanomat erinnert daran, dass die Nato für Finnland mehr bedeutet als militärischen Schutz durch die USA:

„Die nationale Verteidigung kann nicht auf der Annahme aufgebaut werden, dass die von Trump geführten Vereinigten Staaten an der Seite von Europa oder Finnland stehen werden. Dennoch hat Trump Frontstaaten wie Finnland zweifelsohne einen Gefallen getan. Den Haag hat sich zu einer massiven Erhöhung der Verteidigungsausgaben verpflichtet. ... Trumps Verhältnis zur Nato ist unberechenbar, aber inmitten der Turbulenzen sollte man sich daran erinnern, dass das Bündnis für Finnland viel mehr Wert hat als nur die militärische Macht der USA. Die Nato hat Finnland viel enger mit vielen europäischen Ländern verbunden als früher.“

15min (LT) /

Wenigstens ist der Kapitän wieder am Ruder

Politologe Linas Kojala analysiert in 15min:

„Die Nato gleicht einem großen Schiff, das schwankend durch stürmische Gewässer steuert. Die USA als Kapitän wirken dabei nicht gerade vertrauenswürdig. Manche würden am liebsten von Bord gehen, doch weit und breit ist kein anderes Schiff in Sicht. Und selbst der Kapitän beginnt zu begreifen, dass es gar nicht so schlecht ist, das Steuer in der Hand zu behalten. Also schaukeln wir weiter, mit Misstrauen in den Augen – und bewegen uns trotzdem vorwärts.“

Berlingske (DK) /

Jetzt bleiben kleinere Sorgen

Die Zitterpartie hat einen guten Abschluss gefunden, freut sich Berlingske:

„Der Nato-Gipfel endete ohne größeres Drama. Trumps Signale [zu Artikel 5] sind eine dringend notwendige Korrektur für jene, die ein Bild von der Nato in Auflösung zeichnen wollten. ... Noch immer offen sind allerdings Fragen zur Ukraine und zur amerikanischen Bereitschaft, das kriegsgeschüttelte Land zu unterstützen. ... Aber es handelt sich letztlich um eine kleinere Sorge als die, die wir vor diesem Nato-Gipfel hatten. Das dürfte ganz Europa aufatmen lassen.“

The Times (GB) /

Umgarnen um jeden Preis

Die anderen Nato-Mitglieder machen sich regelrecht abhängig von Trumps Launen, beobachtet The Times:

„Um den US-Präsidenten zu besänftigen, kürzten sie die Agenda, ließen die Ukraine außen vor, spielten die Bedrohung durch Russland herunter, machten leere Versprechungen und vermieden dringende Entscheidungen. ... Die intensive Konzentration auf Trumps Stimmung und Wortwahl zeigt, wie anfällig das Bündnis für die Launen des US-Präsidenten ist. Die Nato ist auf die USA angewiesen, um zahlreiche Lücken zu schließen. Dazu gehören knappe Vorräte an Munition und Ersatzteilen, Luft- und Raketenabwehr, Fernwaffen sowie wichtige 'Enabler' wie Geheimdienst und Logistik. Das Beste, was man sagen kann, ist: Wenn die Verbündeten Trumps Vorgehen verwirrend finden, dann wird Putin das auch tun.“

Ouest-France (FR) /

Nationale Armeen sind keine europäische Verteidigung

Ouest-France beschäftigt eine grundlegende Frage:

„Es droht die Gefahr, dass man die einzelnen Nationen aufrüstet und nur so tut, als ob man Europa aufrüsten würde. Es entstünde ein aufgerüstetes Europa ohne europäische Armee. Das steht im Gegensatz zu dem Projekt, das nach dem Krieg entstanden ist. Die Gefahr ist nicht unrealistisch, und die Frage stellt sich genau jetzt. Wenn viele Länder die Wehrpflicht wieder einführen (sogar Deutschland denkt darüber nach), tun sie das, um ein Gefühl der gemeinsamen europäischen Verteidigung zu vermitteln – oder eigentlich nur, um ihre eigene Flagge zu verteidigen? In 15 oder 20 Jahren, wenn die an diesem Mittwoch in Den Haag beschlossenen Maßnahmen Realität geworden sind, wird es zu spät sein, diese Fragen zu stellen.“

Kauppalehti (FI) /

Südeuropa muss solidarisch sein

Kauppalehti fordert:

„Als Musterschüler verspricht Finnland, seine Verteidigungsausgaben auf das von Trump angestrebte Niveau anzuheben, obwohl unklar ist, woher das Geld kommen soll. Die Situation direkt an der Ostgrenze ist eine andere als die in Spanien, weit im Süden, das bereits gegen die Erhöhung der Nato-Ausgaben rebelliert. Es gibt viel zu tun, damit die anderen nicht tatenlos zusehen, wie die russischen Grenzländer Maßnahmen zur Stärkung ihrer Abwehrkräfte ergreifen. Während der Corona-Pandemie erhielten die Länder Südeuropas großzügige Unterstützung. Jetzt ist eine ähnliche Solidarität erforderlich, um auf die russische Bedrohung zu reagieren.“

De Standaard (BE) /

Klimaschutz und Sicherheit gehören zusammen

De Standaard unterstützt die kritische Haltung Spaniens gegenüber dem Fünf-Prozent-Ziel und findet, Belgien solle sich dessen Forderung für mehr Klimaschutz zum Vorbild nehmen:

„Klimakatastrophen führen zu Kriegen und Kriege sind Klimakatastrophen. Nach nur drei Jahren hat der Krieg in der Ukraine mehr zusätzliches CO₂ ausgestoßen als ein Land wie Spanien pro Jahr, ganz zu schweigen von den unermesslichen Umweltschäden. Wenn wir also eine belgische Interpretation der Nato-Forderungen haben wollen, ist es vielleicht gar nicht so weit hergeholt, den Klimaschutz der Fünf-Prozent-Norm zuzuordnen.“