Was ändert sich mit der GroKo für die EU?

Das Thema Europa haben Union und SPD zum ersten Kapitel ihres Koalitionsvertrags gemacht: Sie wollen mehr ins EU-Budget einzahlen, stärker mit Paris kooperieren, schwächelnden Mitgliedstaaten unter die Arme greifen und Investitionen in der Eurozone anstoßen. Für Journalisten sind die Ankündigungen aus unterschiedlichen Gründen vielversprechend.

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Le Soir (BE) /

Willkommene Gewichtsverlagerung

Le Soir freut sich über ein neues Kräfteverhältnis zwischen Frankreich und Deutschland:

„Mit einem Macron, dem alles zu gelingen scheint, und einer geschwächten Merkel an der Spitze einer mühsam errungenen Koalition kehrt ein verändertes deutsch-französisches Paar auf die Bühne zurück. Ein etwas stärkeres und optimistischeres Frankreich und ein weniger hartes und arrogantes Deutschland als jenes, das in den Krisenjahren den Weg befahl. Dagegen ist nichts einzuwenden, vorausgesetzt, die Gewichtsverlagerung geht nicht zu weit in die andere Richtung. Einige fürchten, dass nach dem Brexit ohne Großbritanniens Gegengewicht und mit einer geschwächten Bundesregierung nun Frankreich zum starken Mann Europas wird. So weit aber sind wir noch lange nicht.“

Rzeczpospolita (PL) /

Ein positives Signal an Polen

Rzeczpospolita sieht in dem Koalitionsvertrag auch ein Angebot an Polen, die EU zu gestalten:

„Polen wird zu Beginn des Vertrages ein ganzer Abschnitt gewidmet, nur Frankreich wird noch öfter genannt. Polen hat sich als Partner von besonderer Bedeutung herausgestellt, ohne den eine Reform der EU unmöglich ist. ... Nicht weniger bedeutsam ist, dass aus dem Koalitionsvertrag hervorgeht, dass keine kleine EU entstehen soll, welche die Interessen Polens gefährden würde. Die angekündigte vertiefte Zusammenarbeit der Euro-Länder sieht eher nach kosmetischen Änderungen aus. Deutschland will die EU nicht spalten. ... Das Angebot, das Polen in dem Koalitionsvertrag gemacht wird, können wir nicht ablehnen.“

Kaleva (FI) /

Mehr Geld für Europa

Auch Kaleva erwartet große Veränderungen:

„Schon die Übergabe des Finanzministeriums an die Sozialdemokraten lässt ahnen, dass ein Wandel in Deutschlands Wirtschaftspolitik bevorsteht, eine neue Haltung zur Stärkung der EU und zur wechselseitigen Verantwortung in der Eurozone. ... Vermutlich wird Deutschland fortan großzügiger als bisher in den EU-Haushalt einzahlen, doch es will sicher auch zukünftig nicht die Rechnungen verschuldeter Mitglieder begleichen. ... Gemeinschaftsverantwortung zwischen den Euroländern dürfte eher mehr Verantwortung für die Anleger als für die Staaten bedeuten. Das wäre auch für Finnland, das Deutschlands Politik der strikten Haushaltsdisziplin gefolgt ist, leichter zu schlucken.“

La Croix (FR) /

Paris und Berlin müssen Europa schützen

Die Neuauflage der GroKo betrachtet La Croix als Chance für eine verstärkte Kooperation auf EU-Ebene:

„Sowohl in Paris als auch in Berlin werden dann Parteien an der Macht sein, die sich bei zentralen Themen für eine engere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten stark machen wollen. Konkretisieren dürfte sich dies durch eine umfassende deutsch-französische Initiative im Frühjahr. Anders als zu Beginn der 2000er Jahre, als ein föderaler Traum die Pro-Europäer mobilisierte, entstammt die derzeitige Entschlossenheit eher einem Gefühl der Dringlichkeit angesichts einer unübersichtlichen Weltlage, in der Risiken global werden und in der es wichtig ist, gegenüber den Großmächten Bedeutung zu haben. Für Emmanuel Macron, Angela Merkel und Martin Schulz bedeutet dies, dass sie zusammenhalten müssen, um eine spezifische europäische Vorstellung von Leben, Gesellschaft und Solidarität zu schützen.“

NRC (NL) /

Mit der Sparpolitik könnte es vorbei sein

Insbesondere die SPD-Außen- und Finanzminister Schulz und Scholz werden die EU-Politik Berlins verändern, prophezeit NRC Handelsblad:

„Bekannt war, dass die Koalition ehrgeizige Pläne mit Europa hat. Hinzu kommt nun noch eine personelle Verschiebung. In den vergangenen acht Jahren hatte die CDU von Merkel und dem Spar-Falken Wolfgang Schäuble das Monopol über die EU-Politik in Berlin. Merkel behält die Führung, aber sie wird bald flankiert sein von zwei Sozialdemokraten [Schulz und Scholz]. ... Es wäre nicht überraschend, wenn dieses Team eher geneigt wäre, EU-Ländern mit einer schwächeren Wirtschaft entgegen zu kommen als das Tandem Merkel/Schäuble.“

Público (PT) /

Merkel bleibt am Ruder

Público hingegen misst den neuen Schlüsselpositionen der SPD nicht allzu viel Bedeutung zu:

„Die Parteispitzen haben ihre Schwächen zu Stärken gemacht, um eine Regierung zu bilden, die die letzte Möglichkeit ist, Deutschland im Zentrum der europäischen Erneuerung zu halten. .... Die Gewinne der SPD, die zwei Schlüsselministerien der EU-Politik bekommt, sollte man dabei nicht überbewerten: der Sozialdemokrat Olaf Scholz soll Finanzminister und damit Nachfolger von Schäuble werden. Ein einigermaßen orthodoxer Sozialdemokrat, der die aufgezwungene Sparpolitik seines Vorgängers nicht allzu offen kritisierte. ... In der Außenpolitik wird Martin Schulz erwartungsgemäß das Amt übernehmen, wird aber in seinen Handlungen deutlich eingeschränkt bleiben, weil Merkel die EU-Politik weiter fest in ihren Händen halten wird.“

Finanz und Wirtschaft (CH) /

GroKo ebnet den Weg in die Transferunion

Mit dem neuen Koalitionsvertrag wird die EU zu einer Transferunion, in der wohlhabendere Staaten schwächere dauerhaft subventionieren, kritisiert Finanz und Wirtschaft:

„Was die Spitzenpolitiker in Berlin ... weniger denn je kümmern wird, ist das ratifizierte Geschwätz in den EU-Verträgen. Euro-Turbo Schulz, wenn er denn wirklich Aussenminister wird ... wird alles daransetzen, die Vision des französischen Präsidenten Emmanuel Macron auf Kosten der deutschen Steuerzahler zu munitionieren; im Elysée dürfte heute eine gediegene Flasche Champagner entkorkt werden. Der Weg führt in die Transferunion. Das wird man dem deutschen Volk, das dazu nichts zu sagen hat, mit den gewohnten blumigen Phrasen andrehen.“

The Daily Telegraph (GB) /

Jetzt kommt der EU-Superstaat

Nun geben in Deutschland die Verfechter einer weiteren europäischen Integration den Ton an, schreibt The Daily Telegraph und sieht sich in seiner EU-kritischen Haltung bestätigt:

„Mit der Unterstützung von nur 20 Prozent der deutschen Wähler im Rücken hat es Martin Schulz auf sich genommen, das Schicksal Europas zu bestimmen. Er hat Angela Merkel noch weiter in Richtung europäischer Integration und Reform der Eurozone gedrängt, für die sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron stark macht. ... Eine weitere Integration der EU scheint nun nicht mehr aufzuhalten. Jene in Großbritannien, die immer noch dazu aufrufen, den Brexit zu verhindern, müssen erklären, wie unser Land jemals der Entwicklung hin zu einem solchen Superstaat zustimmen könnte.“