Kann Salvini doch noch Premier werden?

Um eine Koalition aus Cinque Stelle und PD in Italien zu verhindern, umgarnt Lega-Chef Salvini derzeit diejenigen in der Fünf-Sterne-Bewegung, die zur weiteren Zusammenarbeit mit der Lega bereit sind. Viel Zeit bleibt ihm nicht, denn bis Mittwoch will Präsident Mattarella geklärt haben, wer das Land künftig regiert. Kommentatoren sind entsetzt über die italienische Gemengelage.

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Contributors (RO) /

Italiener suchen nach dem Übervater

Lega-Chef Salvini könnte stärker als je zuvor aus dem Konflikt hervorgehen, glaubt der rumänische Schriftsteller Adrian Stepan in Contributors:

„Es sind nicht wenige, die seit einiger Zeit in Salvini den neuen Mussolini sehen oder, warum auch nicht, den kleinen Putin - jenen Anführer, für den er vielfach Bewunderung zeigte. ... In den nächsten Tagen oder Wochen werden wir sehen, ob der italienische Populismus untergegangen ist oder noch kräftiger zutage treten wird. ... Leider verkörpert Salvini in den Augen der Italiener offenbar den Übervater, von dem sie glauben, dass sie ihn - nach Generationen von in Korruptionsskandalen verwickelten Politikern - brauchen.“

Politiken (DK) /

Politisch, ökonomisch und kulturell am Ende

Die Krise in Italien spiegelt den Verfall des Landes wider, urteilt Politiken:

„Seit der Zeit, als der Medienmogul Berlusconi Premier wurde , ist die italienische Politik zu einer Realityshow reduziert worden, in der Spitzenpolitiker alles überleben konnten - von Bunga-Bunga-Festen mit Minderjährigen bis hin zum Steuerschwindel. Das Land ist bis über den Stiefelschaft verschuldet, und laut dem World Economic Forum liegt seine Konkurrenzkraft weltweit nur noch auf Rang 31. ... Italien nimmt auch keine kulturelle Führungsposition mehr ein, wie zu der Zeit, da Filmemacher wie Federico Fellini oder Autoren wie Umberto Eco die Tagesordnung in Europa maßgeblich prägten. Gemeinsam mit Großbritannien verkörpert Italien die Geschichte darüber, wie tief man sinken kann, wenn sich die Wähler an politischen Populismus gewöhnen.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Keine interne Angelegenheit

Italien ist nicht das einzige Land, in dem die EU gemeinschaftlich für Ordnung sorgen sollte, erinnert Helsingin Sanomat:

„Wenn man sich Salvinis Ansichten zur EU anschaut, so scheint klar, dass Italien neben Ungarn und Polen die gemeinsamen Regeln brechen wird. Dank der Euro-Mitgliedschaft bekommt Italien von den Finanzmärkten Vertrauen und niedrige Zinsen geschenkt. Die lockere Geldpolitik der EZB belebt Italiens Wirtschaft und die Bankenunion sichert das wackelige Bankensystem. Diese von der Gemeinschaft gebotene Stütze nutzt Italien nun aus und pfeift auf die Regeln guter Haushaltsführung. Wenn eine populistische Wirtschaftspolitik die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone in Schwierigkeiten bringt, sind das Probleme der gesamten Eurozone. Daher sind Ungarns, Polens und Italiens juristische und wirtschaftliche Ausrichtungen keine internen Angelegenheiten dieser Länder.“

De Volkskrant (NL) /

Kein gut durchdachter Schachzug

Die Chancen, dass Salvini Italiens Premier wird, sind in den vergangenen Tagen gesunken, bemerkt De Volkskrant:

„Durch die Annäherung von PD und Cinque Stelle gibt es [neben Neuwahlen] eine neue Option. Wenn die Regierung fällt, gäbe es eine alternative Mehrheit. ... Die dritte Option ist, dass Premier Conte ankündigt, dass der Streit in seinem Kabinett gelöst ist und Lega und Cinque Stelle einfach weiter regieren werden. ... Das wäre zwar ein unglaublicher und beispielloser Gesichtsverlust für Salvini, aber die Alternative, eine Koalition zwischen Cinque Stelle und PD, wäre für ihn noch katastrophaler. Dann würde der bis vor kurzem noch erfolgreichste Populist Westeuropas ganz einfach wieder auf der Oppositionsbank sitzen und erst in vier Jahren böte sich wieder die Chance, diese zu verlassen. Wer weiß, was dann noch übrig ist von seiner Popularität.“

The Irish Times (IE) /

Rechtsextreme Regierung kaum noch zu verhindern

Die große Chance Salvinis besteht darin, dass die anderen Parteien sich nicht zusammenraufen können, analysiert hingegen The Irish Times:

„Rechnerisch wäre eine andere Regierungsmehrheit im Parlament mit den Abgeordneten der Cinque Stelle und der sozialdemokratischen PD möglich. Doch eine derartige Konstellation wurde vor einem Jahr abgelehnt, und das könnte für Salvini, den aufstrebenden Mann, ein verspätetes politisches Geschenk sein. Angesichts der derzeitigen Popularität der Lega und der Wahrscheinlichkeit, dass diese von anderen rechtsextremen 'post-faschistischen' Parteien unterstützt wird, scheint es, dass eine von Salvinis Partei geführte Regierung nicht mehr lange zu verhindern ist. Wenn diese die Macht übernimmt, wird das für Europa eine weitere Herausforderung darstellen und für Italien möglicherweise gefährlich werden.“

Kommersant (RU) /

Mit der Geschlossenheit der EU ist es bald vorbei

Politologe Sergej Utkin sieht Europas Handlungsfähigkeit bedroht und schreibt in Kommersant:

„Salvini ist der schillerndste Opponent des außenpolitischen EU-Mainstreams. Er spricht laut, wenngleich ergebnislos, über die Notwendigkeit des Verzichts auf die antirussischen Sanktionen, zankt sich mit dem französischen Präsidenten Macron und macht dem in der EU weithin unbeliebten US-Präsidenten Trump und dem britischen Premier Johnson Komplimente. ... Doch außenpolitische Schlüsselentscheidungen werden in der EU nach wie vor einstimmig gefällt. … Bisher zogen es potentielle Unruhestifter bei vielen Fragen vor, den Konsens doch nicht zu brechen. Sollten jedoch die Gräben zwischen der EU-Kommission und den Regierungen einiger widerspenstiger Länder unüberbrückbar werden, wird dies auf die außenpolitische Geschlossenheit der EU durchschlagen.“

Kurier (AT) /

Italien steht am Rand des Abgrunds

Die Regierungskrise in Italien kann wirtschaftlich weitreichende Folgen haben, warnt die Tageszeitung Kurier - und macht die EU mitverantwortlich:

„Es ist wie ein Déjà-vu. Nach Griechenland befindet sich erneut ein südeuropäisches Land der Euro-Zone am Rande des fiskalischen Abgrunds. Und wieder zeigt sich, dass die politischen Eliten eines Landes aus Dummheit oder Feigheit eine Krisensituation herbeigeführt haben. Brüssel und die EU-Staats- und Regierungschefs kann man dabei nicht ganz ausnehmen. Rein durch die ökonomische Brille betrachtet hätte Italien eigentlich (so wie Griechenland) nicht in die Euro-Zone aufgenommen werden dürfen. ... Die Wahrheit lautet: Entweder Weiterwursteln mit der EZB-Nullzinspolitik, die das Land vor der Explosion bewahrt, aber dafür lähmend für ganz Europa wirkt. Oder radikale Jahrhundert-Reformen mit vollkommen ungewissem Ausgang.“

eldiario.es (ES) /

EU muss Salvini in die Schranken weisen

Die EU hat dem Aufstieg Salvinis bislang tatenlos zugesehen, klagt eldiario.es:

„Dieser rüpelhafte Dickhäuter hat inzwischen gute Chancen, zum Regierungschef einer der vier EU-Größen zu werden. Doch trotz der drohenden Gefahr will in der EU niemand darüber sprechen. Man ignoriert ihn lieber, tut so, als ob er nicht existiere und als ob Italien weiterhin ein verlässlicher Partner mit normal funktionierenden Institutionen wäre. ... Die andere beliebte Strategie besteht darin, ihn zu besänftigen, indem man erklärt, man sei im Grunde einer Meinung, aber nicht mit den Formen einverstanden. ... Diese beiden zerstörerischen Strategien haben offensichtliche Konsequenzen: Der Elefant wird jeden Tag fetter, weil ihn keiner daran hindert und weil man ihn füttert, indem man ihm Recht gibt.“

Corriere della Sera (IT) /

Unfähige Lega-Gegner

Dass die Gegner der Lega diese gern als barbarisch bezeichnen, ist dem Historiker Ernesto Galli della Loggia in Corriere della Sera zu einfach:

„Während sich die 'Barbaren' zu verbreiten begannen, was taten die anderen, die Optimaten [die aristokratischen Verfechter der Republik im antiken Rom]? Welche Kämpfe führten sie zum Schutz der demokratischen Zitadelle? Welche Verteidigungsmaßnahmen ergriffen sie? ... Man könnte meinen, dass das Reden über 'Barbaren', womit die Idee einer wilden und überwältigenden Kraft, einer unkontrollierbaren Welle heraufbeschworen wird, den heutigen Optimaten vornehmlich dazu dient, ihre Fahnenflucht zu verbergen, ihre eigene Unfähigkeit, die sich in objektive Komplizenschaft mit dem Feind verwandelte.“

Journal 21 (CH) /

Anti-Salvini-Bündnis wäre instabil

Der frühere EU-Kommissionspräsident Romano Prodi hat eine "Ursula-Koalition" für Italien vorgeschlagen: eine Allianz der Parteien, die für Ursula von der Leyen als EU-Kommissionspräsidentin gestimmt haben. Ein solches Anti-Salvini-Bündnis hätte aber wohl nicht lange Bestand, glaubt Journal 21:

„Die Linke ist wieder einmal zerstritten: ein Teil will einen Pakt mit den Cinque Stelle, ein anderer nicht. Auch die 5 Sterne sind gespalten. Ihr Guru, Beppe Grillo, hatte am Sonntag seine Parteiführer zu einem Gipfeltreffen aufgeboten, um ein mögliches Zusammengehen mit der Linken zu diskutieren. Beide Blöcke haben sich in den letzten Monaten derart angefeindet und fertiggemacht, dass ein plötzlicher Honeymoon bizarr wirken würde. Eine stabile Koalition wäre ein solches Bündnis sicher nicht.“