Zankapfel Corona-Bonds

Die 27 EU-Staaten haben die Entscheidung vertagt, ob sie die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise mit gemeinsamen Euro-Anleihen auffangen wollen. Während Italien und Spanien die "Corona-Bonds" dringend fordern, stellen sich Länder wie Deutschland und Österreich dagegen. Kommentatoren analysieren Hintergründe und Implikationen des Konflikts.

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Handelsblatt (DE) /

Ehrlich wäre besser

Die Nicht-Beistandsklausel des Maastrichter Vertrags, die das Eintreten der EU oder ihrer Mitglieder für die Staatsschulden anderer Mitglieder ausschließt, erweist sich in dieser Krise als wenig hilfreich, meint das Handelsblatt:

„Das zeigte sich schon in der Euro-Schuldenkrise. Damals umschiffte man Artikel 125, indem man den Europäischen Stabilitätsmechanismus schuf. ... Wer sich eine Währung teilt, der braucht auf Dauer auch eine gemeinsame Wirtschaftspolitik, einen gemeinsamen Haushalt und gemeinsame Anleihen - zumindest für einen kleinen Teil der gesamten Staatsschuld. Doch die Regierungen wagen es nicht, ihrer Bevölkerung das zu sagen. Mit ihrem Schweigen riskieren sie, dass der Interessenkonflikt zwischen leistungsstarken und finanzschwachen Euro-Staaten immer größer wird. ... Am Ende könnte es die Euro-Zone zerreißen.“

Corriere del Ticino (CH) /

Die Sparsamen müssen es ausbaden

Corona-Bonds ermutigen nur dazu, noch mehr Schulden zu machen, warnt Corriere del Ticino:

„Es liegt auf der Hand, dass die Garantien für die Gemeinschaftsschulden, insbesondere aus Sicht der Märkte, de facto von den sparsamen Ländern getragen würden, während die weniger puritanischen Länder (darunter Griechenland und Italien, aber auch andere mit einer übermäßigen Verschuldung) ohne Korrekturmaßnahmen theoretisch den bisher für ihre öffentlichen Finanzen eingeschlagenen Weg weitergehen könnten. ... In diesem Fall bestünde die Gefahr einer allgemeinen Herabstufung der Kreditwürdigkeit, mit höheren Zinszahlungen für alle. ... Der Einwand derer, die Corona-Bonds wollen, ist, dass es jetzt einen Notfall gibt. ... Doch ist es nicht so, dass die EU und die Eurozone taub sind. Die bisher beschlossenen Maßnahmen sind beachtlich.“

Público (PT) /

Lieber verschenken als verleihen

Ana Luís Andrade, Analytikerin von The Economist Intelligence Unit, erwägt in Público finanzpolitische Alternativen:

„Die klassische Version von Eurobonds wird den Anstieg der Verschuldung von Volkswirtschaften, die sich in einer weniger nachhaltigen Haushaltssituation befinden, nicht verhindern. ... Demnach sind Eurobonds als Lösung für diese Krise von geringem Nutzen, ganz zu schweigen davon, dass ein so großer Schritt in Richtung einer europäischen Fiskalunion eine soziale und politische Harmonie erfordern würde, die wir derzeit nicht haben ... Eine andere Möglichkeit wäre, Geld an Volkswirtschaften mit schwächeren Haushaltspositionen zu überweisen. ... Diese Version wäre ein maximales Beispiel für europäische Solidarität.“

The Spectator (GB) /

EU an Hilflosigkeit nicht zu überbieten

The Spectator blickt nicht ohne Schadenfreude auf die durch das Virus verursachten Probleme in der EU-Finanzpolitik:

„Im Gegensatz zu Großbritannien können Spanien und Italien nicht mit einer expansiven Geldpolitik auf die Krise reagieren. Weil beide Länder Teil der Eurozone sind, liegt die Kontrolle über die Geldmenge in beiden Staaten in den Händen der EZB. Deren Präsidentin, Christine Lagarde, schien mit einer Wortmeldung sogar anzudeuten, dass sie oder ihre Bank mit dieser Krise nichts zu tun hätten. ... Viele sind von der Covid-19-Krise hart betroffen, aber keine Institution sieht so hilflos aus wie die EU. Man hat das Gefühl, dass die Union einen gemeinsamen Feind wie Großbritannien schmerzlich vermisst, der ihr helfen könnte, die Einheit zu wahren.“

Observador (PT) /

Wir sitzen alle im gleichen Boot

Für einen Kompromiss plädiert Observador:

„Der Gouverneur der Bank von Portugal hat eine Lösung vorgeschlagen: Die Länder finanzieren sich durch Anleihen, die vom Europäischen Stabilitätsmechanismus ausgegeben werden – aber ohne dass, wie in der Ära der Troika, wirtschaftspolitische Bedingungen auferlegt werden. Die einzige akzeptable Bedingung ist, dass die Ressourcen zur Deckung der mit der Pandemie verbundenen Kosten verwendet werden, und möglicherweise noch, um den Gesundheitssektor langfristig für Krisen zu wappnen. ... Dies würde die Länder des Nordens beruhigen. Und gleichzeitig würde das Gespenst der Rettungspakete nicht wieder auftauchen, unter dem die südlichen Länder so gelitten haben. ... Wir sitzen alle im selben Boot. … Egoistisch zu sein, so verlockend es auch sein mag, ist irrational.“

NRC (NL) /

1:0 für Putin

Die Weigerung wird den Niederlanden noch auf die Füße fallen, glaubt Tom-Jan Meeus, Kolumnist des NRC Handelsblad:

„Wenn EU-Länder selbst in dieser Krise nicht füreinander einstehen - wann denn dann? Und während [der niederländische Finanzminister] Hoekstra in italienischen Zeitungen als Grobian dargestellt wurde, erreichten russische Hilfskonvois Norditalien. Im Bereich PR von Putin übertrumpft zu werden, das schaffen nicht viele. Inzwischen ist schon lange deutlich, dass auch die Niederlande die Bekämpfung dieses Virus nicht alleine schaffen. ... Aber ein Land, das in Notzeiten nur unangemessene Forderungen an andere stellen, aber nichts geben kann, wird eines Tages erleben, dass es auch nichts mehr bekommt. “

Avvenire (IT) /

Alles eine Frage der Kultur?

Dass die Idee europäischer Anleihen Nord und Süd entzweit, ist auch auf kulturelle Unterschiede zurückzuführen, erklärt Avvenire:

„Ganz zweifellos betont der protestantische Humanismus die Gleichwertigkeit von Schuld und Schulden stärker, als dies römisch-katholische Länder tun. Das gilt für jede Schuld, aber umso mehr für die öffentliche Verschuldung. … Sind Schulden aber schuldhaft, dann ist auch der Schuldner (ob Person oder Staat) schuldig. Auch diese alte Gleichung steckt hinter der Rigidität, mit der vor allem Deutschland das Verhältnis der Schulden zum BIP in der Eurozone betrachtet, verwaltet und bewacht hat, und hinter dem Misstrauen gegenüber den Corona-Bonds. Hier hat Deutschland in den Niederlanden einen großen Verbündeten gefunden. So wie es kein Zufall ist, dass auf der anderen Seite die 'katholischen' Länder Italien, Spanien und Frankreich stehen.“

La Vanguardia (ES) /

Frankreichs Stimme wird entscheiden

Chefredakteur Jordi Juan greift in La Vanguardia ein Bild von Spaniens Außenministerin Arancha González auf, die die derzeitige Situation mit dem Untergang der Titanic verglich und daran erinnerte, dass es keine Zeit gebe, die zu rettenden Passagiere nach erster und zweiter Klasse zu sortieren:

„Der Vergleich ist nicht aus der Luft gegriffen. Europa geht unter, während die Regierenden dieselbe Leier wiederholen wie das berühmte Orchester auf dem englischen Schiff. ... Die südeuropäischen Länder sind nicht bereit, immer nur Ja und Amen zu sagen zu allem, was von den Mächtigen aus dem Norden kommt. Eine entscheidende Rolle könnte jetzt Frankreich spielen, das stets einen eigenen Weg geht. Die Entwicklung der Pandemie in diesem Land könnte Emmanuel Macron nun in die eine oder andere Richtung tendieren lassen.“

Financial Times (GB) /

Dann eben eine Koalition der Willigen

Frankreich, Italien, Spanien und der Rest der Länder, die Corona-Bonds einfordern, sollten sich vom Widerstand der anderen Staaten nicht entmutigen lassen, schlägt Financial Times vor:

„Es gibt einen Weg nach vorne. Sie könnten in einer Koalition der Willigen von ihnen gemeinsam gestützte Bonds kreieren. Dann könnten sie die Europäische Zentralbank auffordern, diese Wertpapiere im Rahmen des Pandemie-Notkaufsprogramms zu kaufen. Rechtlich würde die gemeinsame Verschuldung souveräner Staaten immer noch als Staatsverschuldung gelten. Aber die Rückzahlungsverpflichtung wäre geteilt. Dies würde die Schuldenlast der schutzbedürftigen Staaten nicht so stark senken wie ein ordentlich konzipiertes EU-weites Konzept. Aber es würde, wenn nicht mehr, einen Präzedenzfall schaffen und etwas Geld generieren.“

Efimerida ton Syntakton (GR) /

Berlin endlich Grenzen setzen

Die egoistische deutsche Krisenstrategie darf nicht mehr toleriert werden, fordert Efimerida ton Syntakton:

„Die EU ist für Deutschland eine praktische Konstruktion, um seinen Protektionismus zu verschleiern, indem es seine EU-Partner an der Nase herumführt und sich als solidarisch darstellt. Die Ablehnung der Eurobonds gegen Covid-19 ist nur die Spitze des Eisbergs, auf dem die EU von Krise zu Krise treibt. ... Da der Eisberg so alt ist wie die EU selbst und ihre Regeln, ist das eigentliche Problem nicht Deutschland und sein tief verankerter wirtschaftlicher Nationalismus. Das Problem sind die anderen, die ihn tolerieren und akzeptieren, dass er die EU-Institutionen 'infiziert'.“

La Repubblica (IT) /

Widerwille ist verständlich

Italien wird sich damit abfinden müssen, dass Corona-Bonds illusorisch bleiben, mahnt der Ökonom Roberto Perotti in La Repubblica:

„Ist es wirklich verwunderlich, dass die nordeuropäischen Länder so widerwillig sind? Im Gegensatz zur Krise von 2011 stecken auch sie mittendrin und sind mit einer enormen Unsicherheit konfrontiert: Es ist undenkbar, dass sie auch das Risiko eines hoch verschuldeten Landes wie Italien auf sich nehmen. Kein Politiker in einem nördlichen Land kann die Verantwortung dafür übernehmen, das Geld seiner Steuerzahler nach Italien zu verschenken oder zu verleihen, um sich dann vorwerfen lassen zu müssen, dass dieses Geld in seinem Land gebraucht worden wäre. Italienische Politiker und Kommentatoren täten gut daran, die Realität zu akzeptieren.“

Dnevnik (SI) /

Selbstgenügsamkeit hilft nicht weiter

Wer sich jetzt einem gemeinsamen Vorgehen versperrt, verkennt die Risiken der Pandemie, meint Dnevnik:

„Die EU-Staats und Regierungschefs sollten in den kommenden Wochen darüber nachdenken, wie schlecht sie gerüstet sind, um der Pandemie und deren Folgen ohne die Union, die EZB oder den Binnenmarkt begegnen zu können. Vielleicht kommen sie auf diese Art leichter zu einer größeren finanziellen Solidarität. Die Wiederkehr zur Selbstgenügsamkeit ist zwar ein schöner Gedanke. Doch in der globalisierten Welt, die mit der Pandemie nicht zu Staub zerfallen wird, stellt sie nur einen Teil der Zerstreuung der Risiken dar.“

El País (ES) /

Mit allen Mitteln gegen die Rezession kämpfen

Die EU darf jetzt nicht die letzte Chance verspielen, warnt El País eindringlich im Leitartikel:

„Der durch das Coronavirus verursachte Produktionsstillstand stellt Europa vor eine schwere Rezession. Will man das Vertrauen der Bevölkerung in die Europäische Union erhalten und die EU nicht völlig in Misskredit bringen oder sogar ihren Bruch riskieren, müssen die Regierenden deutlich stärkere Anstrengungen als bisher unternehmen, die Rezession zu verhindern oder zumindest abzufedern. Auf dem für morgen geplanten Gipfeltreffen sollten entsprechend alle zur Verfügung stehenden Mechanismen aktiviert werden, einschließlich der dringend nötigen Einführung der öffentlichen Euro-Staatsanleihen, der Eurobonds.“

TVXS (GR) /

Italien jetzt unter die Arme greifen

Auch Tvxs spricht sich für gemeinsame Anleihen aus:

„Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, welche Zinssätze die Märkte bald Italien auferlegen werden, das 28 Milliarden Euro zur sofortigen Bekämpfung der Pandemie freigegeben hat, weitere 60 Milliarden Euro über Kredite finanzieren will und dessen Staatsverschuldung bereits vor der Krise bei 135 Prozent des BIPs lag. Der einzige Ausweg sind Eurobonds. ... Die Conte-Regierung hat bereits darum gebeten, führende Ökonomen einschließlich Berater von Merkel fordern sie ebenfalls, aber die Berliner Regierung akzeptiert dies erneut nicht, so wie schon in der Schuldenkrise. … Das also ist die Antwort des Wirtschaftsministers Altmaier auf die Anfrage des Partnerlandes in Europa, das bereits 6.820 Tote des Coronavirus zählt.“

Corriere della Sera (IT) /

Langfristig geht es nicht ohne

Früher oder später wird man über Eurobonds und eine Vergemeinschaftung von Schulden nachdenken müssen, mahnt Wirtschaftsexpertin Lucrezia Reichlin in Corriere della Sera:

„Eine solche ist aber auch aufgrund der historischen Unterschiede zwischen den EU-Ländern hinsichtlich ihrer Haushaltspolitik nicht selbstverständlich. ... Die EZB hat, wenn auch mit anfänglichem Zögern, entschlossen gehandelt. Einmal mehr erweist sie sich als die einzige Institution, die im Namen ganz Europas handeln kann. Heute mag die Aktion der EZB vielleicht ausreichen. Doch wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass früher oder später auch die politischen Akteure Verantwortung übernehmen müssen. Denn die Macht der Zentralbank ist zwar immens, aber sie beruht auf der Unterstützung der souveränen Staaten und der dort gewählten Macht. Ohne einen breiten politischen Konsens wird die Handlungsfähigkeit der EZB begrenzt sein.“