"Sparsame Vier" gegen Merkel und Macron

Dänemark, die Niederlande, Österreich und Schweden stellen sich gegen den Merkel-und-Macron-Wiederaufbauplan, der gemeinsame Schulden aller EU-Staaten umfassen würde. Am Wochenende präsentierten die vier Staaten einen Gegenentwurf, der die Corona-Nothilfen auf zwei Jahre befristet und statt Zuschüssen lediglich günstige Kredite an besonders betroffene Staaten vorsieht. Eine sinnvolle Idee?

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Handelsblatt (DE) /

Marsch in die Schuldenunion stoppen

Vor allem in Deutschland muss man den vieren dankbar sein, meint das Handelsblatt:

„Den Marsch in die Schuldenunion will auch hier niemand ungebremst mitgehen. Die schlauen linken Ökonomen weisen gern darauf hin, dass Deutschland angeblich 'nur' mit rund einem Viertel für die Schulden hafte. Das ist natürlich kompletter Unsinn. Es ist die Bonität Deutschlands, auf die die Finanzmärkte zählen. Das war bei der Einführung des Euros genauso wie bei der Etablierung des Europäischen Stabilitätsfonds zu Zeiten der Schuldenkrise. Wenn aber Zweifel an der Bonität Deutschlands aufkommen, ist die Schuldentragfähigkeit ganz Europas in Gefahr. Das sollten auch die Befürworter von Euro-Bonds öffentlich bekennen.“

Jutarnji list (HR) /

Sie werden sich schon noch einigen

Dass sich der deutsch-französische Vorschlag dennoch durchsetzen wird, glaubt Jutarnji list:

„Dies ist eine große Herausforderung für die EU. In dieser bisher schwersten Krise wird nicht nur dringend Geld benötigt, sondern es stehen auch wieder einmal Solidarität und Einheit der Europäischen Union in Frage. Und doch ist die Zuversicht, dass es einen Kompromiss geben wird, größer als bislang. Man geht davon aus, dass niemand die Verantwortung für neue Spaltungen innerhalb der EU verantworten möchte, zu einem Zeitpunkt, an dem man gemeinsam handeln muss, da niemand diese Krise alleine bewältigen kann. Dass Deutschland den Vorschlag unterstützt hat, ein Staat der bisher in der Gruppe der 'Sparsamen' war, ist Grund für Optimismus, dass es zu einer Einigung zwischen den Mitgliedsstaaten kommen wird.“

LRT (LT) /

Balance zwischen Solidarität und Eigeninteressen

Dies ist nur eine weitere Phase des ständigen Ringens der EU um einen Konsens, analysiert Linas Kojala, Leiter des Vilniuser Eastern Europe Studies Center in Lrt:

„Europa sucht weiterhin nach einer Balance zwischen der Solidarität, die für die Erhaltung der Einigkeit notwendig ist, und dem Unwillen, diese Solidarität aus der eigenen Tasche zu finanzieren. Ein Teil der Vorschläge ist sehr ehrgeizig, allerdings zeigt die Erfahrung aus vergangenen Krisen, dass die EU sich auch im Angesicht immenser Herausforderungen nicht wesentlich verändert. Sie ist noch immer vor allem eine Union von 27 Staaten mit mindestens genau so vielen Interessen, in der nicht Befehle gegeben werden, sondern die komplizierte Suche nach einem gemeinsamen Konsens dominiert. Und wenn ein Konsens in einer derart großen Gruppe vonnöten ist, ist das Ergebnis meist weniger ehrgeizig.“

France Inter (FR) /

Später Sieg für den Thatcherismus?

Die vier Staaten begehen den Fehler, das Dogma der nationalen Finanzpolitik auf die EU zu übertragen, findet Kolumnist Pierre Haski im Radiosender France Inter:

„Sie haben eine stark buchhalterisch geprägte Auffassung des europäischen Projekts, damit treten sie nun an die Stelle Großbritanniens vor dem Brexit. Erinnern Sie sich an Margaret Thatcher und ihr 'I want my money back'! Natürlich kann man einem gut verwalteten Land nicht vorwerfen, sparsam zu haushalten. … Aber man darf das europäische Aufbauwerk nicht auf einen simplen Wirtschaftsraum reduzieren. … In den kommenden Tagen werden wir erfahren, ob die 27 zu einem Kompromiss finden, wie Frankreichs Präsident hofft, oder ob Maggie Thatcher einen Posthum-Sieg einfährt - auf die Gefahr hin, Europa langfristig zu blockieren.“

La Stampa (IT) /

Nicht sparsam, sondern blind

Die Gegner des Plans erkennen den Ernst der Lage nicht, wettert Chefredakteur Massimo Giannini in La Stampa:

„Man bezeichnet sie als 'sparsam', die vier europäischen Länder, die dem 500 Milliarden Euro starken Europäischem Fonds von Angela Merkel und Emmanuel Macron den Weg versperren. Das Attribut haben sie, wenn man ehrlich ist, nicht verdient. Die Niederlande, Dänemark, Österreich und Schweden sind 'blind'. Sie sehen nicht, was wir alle, die Bürgerinnen und Bürger der Union, tagtäglich am eigenen Leib erfahren und erleiden. Sie sehen nicht, was Mario Draghi vor genau zwei Monaten in der Financial Times erklärte, dass nämlich die Pandemie eine 'menschliche Tragödie von potenziell biblischem Ausmaß' ist. Viele Menschen riskieren ihr Leben, und noch vielen mehr droht der Verlust ihrer Lebensgrundlage. ... Es muss verhindert werden, dass die große Rezession zu einer langen Depression wird.“

Die Presse (AT) /

Hilfe nur gegen Kontrolle

Mit dem Plan von Merkel und Macron entwickelt sich die EU in Richtung Transfer-Union, kritisiert hingegen die Tageszeitung Die Presse:

„Eine Gruppe von vier Staaten ... leistet Widerstand gegen das europäische M-&-M-Königspaar und hat ein Gegenpapier vorgelegt. ... Im 'Spiegel' wurde argumentiert, dass die vier Länder mit ihren Exportüberschüssen verpflichtet wären, Gewinne der Vergangenheit an andere Länder zurückzuzahlen, die bisher mehr eingeführt hätten. Das ist eine Linie, die ein gewisser Trump im Handelskrieg gegen Europa beschwor. Sie ist absurd. Am Ende wird es zwecks Einstimmigkeit einen Kompromiss, eine Mischung aus Subventionen ('Zuwendungen') und Krediten geben. ... Wenn nun geholfen wird, muss zeitgleich kontrolliert werden, dass längst vergessene Maastricht-Kriterien und andere Parameter irgendwann wieder eingehalten werden.“

Le Soir (BE) /

Merkantilismus des Nordens gefährdet Währungsunion

Die größte Gefahr für die Währungsunion geht nicht von einer "zu großzügigen" Haushaltspolitik in Südeuropa aus, sondern von der national orientierten Wirtschaftspolitik nordeuropäischer Staaten, glaubt Le Soir:

„Eines ist unbestreitbar: Nicht alle EU-Mitgliedstaaten können Deutschland nachahmen, selbst dann nicht, wenn sie jahrelange Sparpolitik und zurückhaltende Lohnpolitik akzeptieren - dazu eine stagnierende Wirtschaft wie seit 20 Jahren in Italien. Es gibt also nur zwei Lösungen: Entweder wenden sich Deutschland und die 'vier Sparsamen' von ihrer merkantilistischen Obsession ab und räumen ein, dass Europa, da es keine kleine offene Wirtschaft ist, sein Wachstum und seinen Wohlstand nicht auf Wettbewerbsfähigkeit und Außenhandel stützen kann. Oder die Währungsunion wird immer schlechter funktionieren, bis zum Tag, an dem einige beschließen werden, sie zu verlassen.“