Was bedeutet der Krieg für Russland?

Das russische Finanzministerium verkündete am Donnerstag, die Zinszahlungen in Höhe von 117 Millionen Dollar für russische Dollar-Anleihen überwiesen zu haben. Bis zum Ende war unklar, ob Moskau die vertragliche Verpflichtung angesichts der Sanktionen einhalten würde. Kommentatoren diskutieren die Wahrscheinlichkeit einer Staatspleite Russlands und was das Land dennoch zusammenhält.

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NV (UA) /

Russische Wirtschaft am Ende

Die wirtschaftlichen Folgen dieses Krieges werden für Russland langfristig verheerend sein, meint der Investment Banker Serhij Fursa in NV:

„Das Sterben der russischen Wirtschaft kann nur durch Putins Tod gestoppt werden. ... Die Ukraine ist wie ein Mann, der sich ein Bein gebrochen hat. Es tut sehr weh, es ist schwierig, sich zu bewegen, aber der Arzt verspricht, dass Sie in sechs Monaten wieder laufen können. Die Unterstützung der westlichen Partner wird enorm sein. Doch bei der russischen Wirtschaft wurde Krebs dritten Grades diagnostiziert. Wenn Putin nicht amputiert wird, ist der tödliche Ausgang unausweichlich.“

La Repubblica (IT) /

Der Kreml holt sich das Geld aus dem Gasexport

La Repubblica ist der Ansicht, dass Russland noch weit vom Staatsbankrott entfernt ist:

„In einer halbstaatlichen Wirtschaft wie der russischen steht der Regierung nichts im Wege, exportierende Unternehmen, die Devisen verdienen, als 'Ersatz-Zentralbank' einzusetzen, um Gelder an die Regierung, Banken und importierende Unternehmen zu verteilen. In der Tat hat die Regierung bereits (rückwirkend!) jeden, der Dollar erhält, verpflichtet, 80 Prozent in Rubel umzutauschen. Diese Strategie könnte erfolgreich sein, denn die jährlichen Einnahmen aus Öl und Gas decken derzeit ein Drittel des russischen Haushalts und Militärausgaben für zwei Jahre, vermutlich das Einzige, was Putin im Moment interessiert.“

Lidové noviny (CZ) /

Auf dem Weg in die Selbstisolation

Putins Kriegspropaganda führt zu einer Wagenburgmentalität, konstatiert Lidové noviny:

„Laut Umfragen [der staatsnahen Meinungsforschungsinstitute Wziom und Fom] unterstützten 68 bzw. 71 Prozent der Russen den Krieg gegen die Ukraine. ... Offensichtlich funktioniert die Propaganda. Die Frage wird sein, was passieren wird, wenn Berichte über russische Militärverluste auftauchen. Laut einem Putin-Erlass von 2015 gilt jede Meldung von Verlusten der russischen Armee als Landesverrat. Aber es ist keineswegs sicher, wie lange etwas Ähnliches aufrechterhalten werden kann. Wie der Krieg ausgehen wird, ist noch unklar. Aber das ändert nichts daran, dass Russland voraussichtlich ein noch geschlosseneres Land mit viel weniger Berechenbarkeit werden wird.“

Kathimerini (GR) /

Massiver Dämpfer für die russische Wirtschaft

Die beschlossenen Sanktionen werden Russland trotz Vorbereitung hart treffen, meint Kathimerini:

„Es stimmt, dass Putin acht Jahre Zeit hatte (seit der Krise von 2014), um sich auf die westlichen Sanktionen vorzubereiten, und er hat dies weitgehend erfolgreich getan, indem er riesige Devisenreserven anhäufte, Ersatz für viele Importe aus dem Westen und Alternativen aus China fand. Diesmal werden die Sanktionen jedoch nichts mit dem zu tun haben, was bisher geschah. Nord Stream 2, ein strategisch wichtiges Projekt, wird höchstwahrscheinlich nicht in Betrieb gehen, die Amerikaner werden Russland von wichtigen Hightech-Technologien abschneiden und auch der Bann des Landes aus Swift ist nicht auszuschließen, was den internationalen Handel des Landes in US-Dollar extrem erschwert.“

Nowaja Gaseta (RU) /

Ausgestoßen und abgehängt - wie der Iran

Nowaja Gaseta sieht Schwarz für Russlands Zukunft:

„Welche Verluste auch immer die Ukraine erleidet - Russlands Verluste werden größer sein. Alles stürzt in den Abgrund: der Rubel, die Löhne, die Zukunft. Russland erwartet das Schicksal des Irans. ... Alle Sanktionen, die Russland von den Weltmärkten abschneiden, werden zu einer 'nicht provozierten Aggression' erklärt. Elend, Armut und Willkür werden allesamt auf die Sanktionen zurückgeführt werden ... Die Welt spaltet sich schlichtweg in eine freie Welt, wo es Wirtschaft, Technologie und Wissenschaft gibt - und Staaten à la Iran oder Russland, wo es nur eine offizielle Ideologie vom Kampf gegen Feinde gibt. Über Russland senkt sich rasselnd der Eiserne Vorhang.“

Financial Times (GB) /

Putin zündet innenpolitische Zeitbombe

Putins Vorgehen in der Ukraine und das Unterdrücken jeglicher Kritik im eigenen Land werden Russland destabilisieren, meint Russland-Expertin Tatiana Stanovaya in der Financial Times:

„Das ganze [russische] System wandelt sich: Von der 'Macht der Autorität', basierend auf einer weit verbreiteten Unterstützung durch das Volk, zur 'Autorität der Macht', basierend auf Unterdrückung statt konstruktiver Strategie. ... Im Laufe der Zeit werden öffentliche Unzufriedenheit und Wut langsam zunehmen. Indem Putin gesellschaftliche Mechanismen zum Dampfablassen abbaut und die innenpolitischen Zügel noch weiter anzieht, platziert er eine Bombe unter dem russischen Staat. Diese wird unweigerlich mit großer Gewalt explodieren und massive Zerstörungen anrichten, wenn das Regime zu zerfallen beginnt.“

Wprost (PL) /

Putin wird wie Hitler enden

Der Kreml-Chef hat seinen Untergang eingeleitet, prophezeit Wprost:

„Wir sollten uns daran erinnern, dass selbst Stalin, der Urheber der größten Entfesselung des russischen Imperialismus in der Geschichte, es nie gewagt hat, sich direkt mit dem demokratischen Westen anzulegen. Wladimir Putin ist in die Fußstapfen Adolf Hitlers getreten, und das ist mehr als ein Verbrechen in der zivilisierten Welt: Es ist ein Fehler. ... Heute kann sich Putin über den Eindruck freuen, den er mit seiner Aggression gegen die Ukraine in der Welt hinterlassen hat. Aber das ist ein schwacher Trost für ihn, denn jeder weiß bereits, dass man ihm nicht trauen kann. Früher oder später wird er wie Hitler enden, belagert in seinem Bunker.“

Libération (FR) /

Inspiration aus Sankt Petersburg

Die Menschen, die in Russland gegen den Krieg demonstrieren, sollten dem Rest Europas ein Vorbild sein, meint Dov Alfon, Chefredakteur von Libération:

„Viele Stunden lang haben sich die Ukrainer unter der Last der Bomben wahrscheinlich schrecklich allein gelassen gefühlt. Die unerwartete Unterstützung, die sich als wirksam erweisen könnte, kam entgegen aller Erwartungen aus Russland selbst: Tausende Russen haben am Donnerstagabend gegen den Krieg demonstriert. Die Bilder brutaler Verhaftungen in Sankt-Petersburg, gefolgt von nicht weniger mutigen Solidaritätserklärungen für das ukrainische Volk von russischen Künstlern, Studenten und sogar TV-Stars, lassen die Möglichkeit eines so unerwarteten wie ermutigenden Rucks in Europa vorausahnen.“