Israel-Iran-Konflikt: Was sind die globalen Folgen?

Israel und der Iran attackieren sich weiterhin gegenseitig mit Luftangriffen. Donald Trump forderte den Iran zur "bedingungslosen Kapitulation" auf – was Spekulationen über einen Kriegseintritt der USA weitere Nahrung gab. Berichten zufolge verlegt Washington starke Luft- und Seestreitkräfte in Richtung Naher Osten. Europäische Kommentatoren debattieren die Bedeutung des Konflikts für die Region und darüber hinaus.

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Iltalehti (FI) /

Schwelle für militärische Gewaltanwendung sinkt

Iltalehti fürchtet, dass der Ukraine-Krieg nun nur noch ein Konflikt unter vielen sein wird:

„Indem er Netanjahu bei der Zerstörung der Leistungsfähigkeit des iranischen Militärs unterstützt, macht Trump auch der Ukraine ein Überraschungsgeschenk. Die Fähigkeit des Iran, Russland mit Raketen und Drohnen zu beliefern, kollabiert. Sollte das autoritäre klerikale Regime des Iran zusammenbrechen, würde Putin einen politischen Verbündeten verlieren. Doch es gibt keinen Grund zum Optimismus. Während die Macht im Nahen Osten mit Waffengewalt neu verteilt wird, sieht der von Russland zur Zerstörung der Ukraine geführte Angriffskrieg allmählich nur wie ein weiterer Krieg in einer Welt der zahlreichen Kriege aus. Die Schwelle für den Einsatz tödlicher und unkontrollierter Gewalt sinkt überall auf der Welt.“

Adevărul (RO) /

Sturz der Mullahs könnte Separatisten beflügeln

Ein Kollaps der politischen und militärischen Führung im Iran würde dort ein brisantes Machtvakuum schaffen, heißt es bei Adevărul:

„Damit würde eine Büchse der Pandora geöffnet, die die Schwächen des iranischen Systems offenlegen und Sicherheitsprobleme im gesamten Nahen Osten nach sich ziehen würde. Das wiederum würde Sezessionsbewegungen in den Grenzregionen des Irans befördern, wo die aktivsten Minderheiten mit separatistischen Bestrebungen leben: Kurden, Belutschen und Ahwazi-Araber. Das mögliche partielle Machtvakuum könnte von separatistischen Gruppen ausgenutzt werden, um neue Anhänger zu rekrutieren, Angriffe zu starten oder Verbindungen ins Ausland zu stärken.“

Corriere del Ticino (CH) /

Finanzmärkte unbeeindruckt

Corriere del Ticino ist erstaunt über die Ruhe an den Finanzmärkten:

„Mit Ausnahme des Goldpreises, der weiter ansteigt, waren die ersten Reaktionen der Finanzmärkte auf den Krieg zwischen Israel und dem Iran relativ gedämpft und haben sich zu Beginn dieser Woche wieder normalisiert. In der Tat scheinen alle davon auszugehen, dass er bald mit einer Vermittlung enden wird. … Diese Schlussfolgerung wird durch bestimmte Marktentwicklungen bestätigt. Das Erdöl, der am stärksten von einer Ausweitung des Konflikts bedrohte Rohstoff, begann nach einem Aufwärtstrend wieder zu sinken und sich den früheren Preisen anzunähern. … Das Gleiche geschah mit dem Dollarkurs: Nach einem anfänglichen Anstieg begann der Greenback bereits am vergangenen Freitag wieder zu fallen.“

Index (HU) /

Schlittern wir in den Dritten Weltkrieg?

Eine Eskalation zu einem weltweiten Konflikt ist nicht ausgeschlossen, meint Index:

„Die US-Streitkräfte müssen sich jetzt auf den Nahen Osten fokussieren, was sicherlich ihr Unterstützungspotential für die Ukraine verringern und damit die Aufreibung der ukrainischen Streitkräfte beschleunigen wird. Gleichzeitig wird China nun anders auf Taiwan blicken, wenn es weiß, dass die US-Ressourcen anderswo gebunden sind, während das chinesische Außenministerium eilig Kontakt mit Teheran aufgenommen hat. Es ist also ohne Weiteres möglich, dass das, was wir nun erleben, eigentlich der Moment des Ausbruchs des Dritten Weltkriegs ist.“

Webcafé (BG) /

Welthandel nicht vor Störungen sicher

Iran hat noch ein wichtiges Ass im Ärmel, schreibt Webcafé:

„Das Regime könnte einen radikalen Weg einschlagen und die Straße von Hormus blockieren, durch die etwa ein Drittel des weltweiten Erdölhandels und ein Fünftel des Flüssiggashandels fließt. Die Straße von Hormus ist eine der wichtigsten Stellen der Weltmeere für den Seeverkehr und den Handel. ... Für den Irak, Kuwait, Bahrain, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate ist es der einzige Zugang zum Weltmeer. Der Iran hat nun die Möglichkeit, ihn zu blockieren und damit den Welthandel zu stören. Es ist unklar, inwieweit ein solcher Schritt in Teheran tatsächlich in Erwägung gezogen wird, aber schon die bloße Drohung, die Meerenge zu schließen, könnte sich auf die weltweiten Kraftstoffpreise auswirken.“

La Stampa (IT) /

Es droht das Ende einer Ära

Auf dem Spiel steht die wichtige Errungenschaft des Atomwaffensperrvertrages von 1968, betont La Stampa:

„Wenn der Iran aus dem Vertrag aussteigt, wie er angedroht hat, wäre dies kein isolierter Bruch. Es wäre die Sollbruchstelle eines ganzen Systems. Der Übergang von einem Nichtverbreitungsregime zu einer Welt, in der die Atomwaffe als Sicherheitsgarantie eingesetzt wird. Die Gefahr besteht nicht nur in der iranischen Atombombe. Sie besteht darin, dass nach Teheran auch andere Länder dieser Logik folgen werden. Und dass die Weiterverbreitung zur neuen geopolitischen Normalität wird. Wir wären am Ende einer Ära angelangt. ... [In] eine Welt, in der Abschreckung normalisiert, die Diplomatie an den Rand gedrängt und die Proliferation rationalisiert wird“

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Kommersant (RU) /

Russlands Partnerschaft nur auf dem Papier

Politologe Andrej Kortunow sieht in Kommersant Moskau in diesem Konflikt auf der Verliererseite:

„Russland war nicht in der Lage, den massiven israelischen Schlag gegen einen Staat zu verhindern, mit dem es vor fünf Monaten einen Vertrag über eine umfassende strategische Partnerschaft unterzeichnet hat. Moskau ist eindeutig nicht bereit, über eine Verurteilung des israelischen Vorgehens hinaus dem Iran auch militärische Unterstützung zu gewähren. ... Die Risiken für Moskau können langfristig nur zunehmen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Israels Hauptziel nicht die Aussetzung des iranischen Atomprogramms oder gar eine Änderung des iranischen Verhaltens in der Region ist, sondern ein Wechsel des Regimes im Lande.“

Yetkin Report (TR) /

Chance für die Türkei

Eine Neuordnung in Nahost könnte der Türkei zugute kommen, meint der Analyst Ahmet Kasım Han in Yetkin Report:

„Die Türkei befindet sich auf einer Gratwanderung in einer zunehmend destabilisierten Region. ... Wenn die Türkei ihre Karten richtig ausspielt, könnte sie aus diesem Chaos Vieles für sich herausholen. Wenn die strukturellen Probleme – wenn auch nur in bescheidenem Maße – behoben werden, könnte die Türkei von der Neuordnung nach der Krise profitieren. Denken Sie an Lieferketten, Energiekorridore, neue Handelsallianzen, Handels- und Auslandsinvestitionsmöglichkeiten.“

Delfi (LV) /

Ein Vegetarier in einer Welt der Raubtiere

Der Analyst Sandis Šrāders warnt in Delfi:

„Die Umleitung US-amerikanischer Ressourcen in den Nahen Osten könnte die Sicherheit in anderen Regionen schwächen. China könnte die Gelegenheit nutzen, die Kontrolle über Taiwan zu übernehmen, wenn die Aufmerksamkeit und Ressourcen der USA auf den Nahen Osten konzentriert werden. ... Die Nato-Staaten in Europa müssen nun entschlossener und rascher handeln: Die neuen russischen Militärstützpunkte an der finnischen Grenze sind keine freundliche Geste, sondern vielmehr ein Zeichen dafür, dass Moskau seinen Einfluss im Raum der ehemaligen Sowjetunion wiederherstellen will. Europa hat die veränderte Sicherheitslage in der Welt zu lange ignoriert. ... Europa sollte endlich aufwachen. Es ist wie ein Vegetarier in einer Welt, in der Raubtiere herrschen.“

Naftemporiki (GR) /

Notwendigkeit eines Gleichgewichts

Die Lage wird wohl nicht eskalieren, meint Naftemporiki:

„Der Krieg, der zwischen den stärksten Mächten der Region ausgebrochen ist, ist für beide Seiten schmerzhaft, aber es scheint, dass er sich nicht ausbreiten wird, weil alle erkennen, dass eine Eskalation des Konflikts in niemandes Interesse ist. Sie erkennen auch, was bei einem katastrophalen Krieg auf dem Spiel steht, nämlich nichts anderes als die wirtschaftliche Zerstörung. Selbst die Kräfte, die die Karten in der Region neu mischen wollen, erkennen die Notwendigkeit eines Gleichgewichts an, trotz des Kriegsgeschreis nach der Vernichtung des Feindes.“