Alaska-Gipfel: Europa und Kyjiw wollen ein Wort mitreden

Vor dem geplanten Ukraine-Treffen von US-Präsident Trump und Russlands Staatschef Putin in Alaska hat Bundeskanzler Friedrich Merz europäische Staats- und Regierungschefs zu einem virtuellen Gipfel eingeladen. Dabei wollen die beteiligten Staaten - unter ihnen auch die Ukraine - sich abstimmen, um ihre Position im Anschluss an die USA zu übermitteln. Kommentatoren analysieren die Motive der Beteiligten.

Alle Zitate öffnen/schließen
The Economist (GB) /

Trump für das Treffen mit Putin wappnen

Mit dem virtuellen Gipfel verfolgt Europa dreierlei Ziele, analysiert The Economist:

„Das erste Ziel betrifft die zeitliche Abfolge. Zwar erkennen die Europäer an, dass ein Abkommen die Anerkennung einiger russischer Eroberungen erfordern könnte, man will jedoch Gespräche über Gebietsabtretungen erst nach einem Waffenstillstand entlang der aktuellen Frontlinie beginnen. ... Das zweite Ziel Europas ist eine Sicherheitsgarantie für die Ukraine. Eine Nato-Mitgliedschaft steht derzeit nicht zur Debatte, doch kann Selenskyj einem Waffenstillstand ohne Garantien gegen neue russische Angriffe nicht zustimmen. ... Und das dritte Ziel: Die Europäer wollen Trump für sein Treffen mit Putin, einem Meister der Manipulation, wappnen und ihm raten, nicht übereilt zu handeln.“

Espreso (UA) /

Ohne Ukraine und EU kein Deal

Kyjiw und die EU sind unverzichtbar für jedwede Einigung mit Moskau, verdeutlicht Publizist Jurij Bohdanow in einem von Espreso übernommenen Facebook-Post:

„Weder die Ukraine noch Europa haben die Absicht, Putins irrwitzige Ultimaten zur Abtretung von Territorien zu akzeptieren. … Deshalb sind Konsultationen mit Kyjiw und den europäischen Hauptstädten für jede amerikanische Administration keine Option mehr, sondern eine Notwendigkeit – insbesondere vor dem Hintergrund des neuen Handelsabkommens mit den USA und der Schlüsselrolle der EU im Dialog mit China. … So sehr Trump auch davon träumen mag, mit Putin 'einen Deal zu machen', seine Chancen auf Erfolg sind gering – einfach deshalb, weil der Spielraum für eine echte Verständigung mit dem Kreml weitaus enger ist als in seiner Vorstellung.“

Denník Postoj (SK) /

Schwieriger Kampf um Souveränität

Denník Postoj fasst die Sorgen Kyjiws und der Europäer zusammen:

„In diesen Tagen wird ein schwieriger diplomatischer Kampf geführt, um sicherzustellen, dass Trump die ukrainische Souveränität nicht über Bord wirft. Und auch, um sicherzustellen, dass die Verantwortung für das mögliche Scheitern des Treffens nicht der Ukraine zugeschrieben wird. ... Man kann natürlich argumentieren, dass es hier nicht um die Wahrung der ukrainischen Souveränität gehen kann, sondern um das Ende von Kampf und Leid. In Wirklichkeit müssen die Bedingungen für ein Kriegsende jedoch von der ukrainischen Gesellschaft akzeptiert werden, sonst wird niemand es wagen, sie zu unterzeichnen.“

Magyar Hang (HU) /

Gebietsabtretung derzeit keine Option

Ein Verzicht auf Gebiete ist nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich, erklärt Magyar Hang:

„Eine Gebietsabtretung muss auf jeden Fall durch eine rechtmäßige, demokratische Volksabstimmung ohne jeweilige Bedrohung bestätigt werden. Für den Frieden ist es auch notwendig, dass die internationale Gemeinschaft dies als Lösung akzeptiert, dass die Rechte derjenigen, die zur Minderheit geworden sind, vom ersten Moment an gewährleistet werden, und dass in dem betroffenen Gebiet eine auf gegenseitigem Vertrauen basierende politische und wirtschaftliche Kooperation zwischen den 'Vertragsstaaten' zustande kommt. Da derzeit keine Aussicht auf Letzteres besteht, ist es völlig verständlich, warum der ukrainische Präsident diese Art von Frieden ablehnt.“

Le Figaro (FR) /

Tête-à-Tête zur Entspannung

Allein das Treffen von Trump und Putin hat schon einen positiven Effekt, meint Le Figaro:

„Man sollte sich freuen und nicht darüber klagen, dass die Präsidenten der beiden größten Atommächte der Welt beschlossen haben, sich am Freitag in Alaska zu einem Tête-à-Tête zu treffen. ... Keiner hat Lust darauf, dass der derzeitige Konflikt zwischen Russland und der Ukraine, der aktuell zwischen den Flüssen Dnister und Don zu verorten ist, in einen dritten Weltkrieg ausartet. Washington und Moskau haben große Meinungsunterschiede bezüglich der Ukraine. Der Sommergipfel von Trump und Putin wird diese nicht aus der Welt zaubern. Doch dass die beiden Herrscher einander besser kennen, stellt einen unleugbaren Vorteil dar, um jegliche gefährliche Eskalation zu verhindern.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Fast alles wie vor genau 120 Jahren

Der anstehende Alaska-Gipfel wird oft mit München 1938 oder Jalta 1945 verglichen. Radio Kommersant FM zeigt hingegen historische Analogien zum Friedensschluss im Russisch-Japanischen Krieg 1905 auf:

„Die USA haben sich damals erstmals als Weltmacht gezeigt, die in der Lage ist, heikle diplomatische Missionen durchzuführen und Frieden auf einem anderen, weit entfernten Kontinent zu stiften. Und als i-Tüpfelchen: Für die Organisation der Konferenz von Portsmouth wurde Präsident Theodore Roosevelt im Jahr darauf, 1906, mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet. ... Vieles erinnert nun an das Jahr 1905, sogar der Monat ist derselbe – August: Die Versuche des US-Präsidenten, einen fremden Krieg zu beenden; Verhandlungen in Amerika, die der Suche nach Frieden gewidmet sind, nur dass statt Portsmouth jetzt Alaska der Schauplatz ist.“

Helsingin Sanomat (FI) /

Putin will erstmal Trump bearbeiten

Erst wenn der russische Präsident den US-Staatschef auf seine Seite gezogen hat, wird er sich mit Selenskyj treffen, glaubt Helsingin Sanomat:

„Donald Trump hat mehrfach den Wunsch geäußert, ein trilaterales Treffen mit Selenskyj und Putin zu organisieren. Das wäre die natürlichste Option für den Geschäftsmann Trump und der Traum des Friedensstifters Trump. Es ist allgemein bekannt, dass Trump vom Nobelpreis träumt, und den könnte er bekommen, wenn der Krieg endet und er als Vermittler fungiert. Aber Russland lehnt die Anwesenheit der Ukraine ab. Zumindest derzeit. Bevor Putin sich mit Selenskyj trifft, muss er zunächst Trump bearbeiten, damit dieser wieder glaubt, dass der Krieg durch den Wunsch der Ukraine nach einem Nato-Beitritt ausgelöst wurde und dass Putin klug und gerissen ist.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Kyjiw kann die Front nicht räumen

Der Tages-Anzeiger traut Putin nicht über den Weg:

„Pragmatisch könnte man argumentieren, dass für Kyjiw ein Verzicht auf besetzte Gebiete – der öffentlichen Rhetorik zum Trotz – das Beste wäre, falls das denn zu einem echten Frieden führen würde. Doch alle Erfahrung mit Diktator Putin in den vergangenen Jahrzehnten zeigt, dass seinem Wort, vor allem wenn es um die Ukraine geht, nicht zu trauen ist. Zumindest gemäss dem heutigen Stand bleibt Kyjiw nichts anderes übrig, als sich auf weitere westliche Waffen und auf seine eigenen Soldaten zu verlassen, die mit heroischem Kampfeswillen an der Front ausharren.“

Der Freitag (DE) /

Fokus auf das Machbare legen

Europa sollte auch ohne Selenskyj im Boot ein Kriegsende anpeilen, schreibt der Experte für Internationale Beziehungen, Johannes Varwick, in Der Freitag:

„Spätestens nach dem kompromisslosen Statement des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj vom Wochenende dürfte ... klar sein, dass der zu keinen Zugeständnissen bereit ist. Er hatte die Chance, Eckpunkte einer politischen Lösung zu skizzieren und die ukrainische Öffentlichkeit auf Kompromisse vorzubereiten. Stattdessen gibt es Durchhalteparolen. ... Es kommt jetzt besonders darauf an, dass 'die' Europäer eine realpolitische Frontbegradigung in der Ukrainefrage nicht sabotieren, sondern die USA notfalls auch gegen den Willen Kiews bei ihrer diplomatischen Initiative unterstützen. Es wäre an der Zeit, sich auf das Machbare zu fokussieren.“

Visão (PT) /

Europas zweites Jalta

In Alaska könnte sich die Geschichte vom Februar 1945 wiederholen, fürchtet Visão:

„Es ist kein Gipfeltreffen. Es ist ein Schlachtmarkt. Wie in Jalta auf der [heute russisch] besetzten Krim, als sie Europa in Einfluss- und Besatzungszonen aufteilten. Das war ein schändliches Gipfeltreffen. Wieder einmal bleibt der kleinere Zerrissene außen vor: die Ukraine. ... Niemand weiß, was aus Alaska kommen wird: ob Geschichte oder nur ein weiterer schmutziger Deal. Der eine will das Territorium, Punkt. Der andere will sich als glorreicher Friedensstifter in einem Krieg präsentieren, der bereits Hunderttausende Tote und Verletzte gefordert hat. Pech für ein Land, das nur in Frieden leben, der EU und der Nato beitreten wollte.“

Mladá fronta dnes (CZ) /

Koreanische Teilung als Modell

Mladá fronta dnes hält folgendes Szenarium für denkbar:

„Der Krieg wird eingefroren, nicht beendet. Die Ukraine wird die besetzten Gebiete verlieren, da es leider keine Macht gibt, die die Russen zurückwerfen kann. Aber die Ukraine wird sie nicht wirklich verlieren. Sie werden de facto von den Russen kontrolliert, aber der Westen und Kyjiw werden dies nicht anerkennen, sondern so tun, als gehörten sie rechtlich zur Ukraine. Es würde das Ende des Krieges bedeuten, aber keinen Frieden. Es bräuchte keinen formellen Friedensvertrag, daher würden die von Moskau besetzten Gebiete rechtlich nicht als russisch anerkannt. Die Frage nach dem Besitz könnte um Monate, Jahre oder Jahrzehnte verschoben werden. In Korea geht es schon seit mehr als siebzig Jahren so.“

La Croix (FR) /

Befriedung durch Business

Wirtschaftliche Vorteile für US-Firmen spielen eine zentrale Rolle bei den Verhandlungen, analysiert Jean-Christophe Ploquin, Chefredakteur von La Croix:

„Das Gipfeltreffen in Alaska wird teilweise der Logik der Befriedung durch Business entsprechen. Unter anderem haben Washington und Kyjiw im April ein Abkommen unterzeichnet, das US-Unternehmen privilegierten Zugang zu Seltenen Erden, Lithium, Graphit und Titan aus dem ukrainischen Boden bietet. Die USA haben nunmehr einen guten Grund, die Sicherheit des Landes zu bewahren, auf jeden Fall in den 80 Prozent des Staatsgebiets, die den russischen Krallen entkommen. Die restlichen 20 Prozent sind jedoch auch keine unbedeutende Variable.“

The Irish Times (IE) /

Ein Deal ohne Kyjiw ist kein Deal

Es darf keine Einigung über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben, mahnt The Irish Times:

„Putin will ein Abkommen, das die Ukraine effektiv entwaffnet und ihre Verbündeten so fern wie möglich hält, in deren eigenen Staatsgebieten. Keine Rede von internationaler Friedenssicherung oder Überwachung. Das bedeutet permanente Verwundbarkeit. Putin wäre diese Woche der große Gewinner, wenn er ein Abkommen mit Trump aushandelt, das die Ukraine nicht akzeptieren kann. Die USA würden sich dann aus dem Konflikt zurückziehen und ihre Hände in Unschuld waschen. Trumps Versprechen 'Land für Frieden' bringt ein solches Ergebnis in den Bereich des Möglichen. Doch ein Abkommen ohne die Beteiligung der Ukraine ist kein Abkommen.“

Gordonua.com (UA) /

In Wirklichkeit eine Falle

Ein territorialer Kompromiss könnte die Ukraine spalten, befürchtet der Politologe Wolodymyr Fessenko in einem von Gordonua.com übernommenen Facebook-Post:

„Putin wiederholt sein hinterlistiges Manöver, das er bereits im Mai unternommen hatte. Damals schlug er als Reaktion auf die Forderung nach einem Waffenstillstand direkte Friedensverhandlungen mit der Ukraine in Istanbul vor. Für Trump war das ausreichend. Nun bietet Putin einen Friedensplan an, der als Kompromiss erscheinen soll, in Wirklichkeit jedoch eine Falle ist. Lehnen wir ihn ab, droht eine neue Abkühlung oder gar ein Konflikt in den Beziehungen zu Trump. Willigen wir ein, riskieren wir eine innenpolitische Krise in der Ukraine, da ein bedeutender und aktiver Teil der Gesellschaft kategorisch gegen einen solchen 'Tausch' [von Territorien] ist.“

Les Echos (FR) /

Historischer Erfolg möglich

Eine Wende ist durchaus vorstellbar, erläutert Politologe Sébastien Boussois in Les Echos:

„Putin sucht einen ehrenhaften Ausweg. … Sein Ziel ist nicht mehr unbedingt, die gesamte Ukraine zu kontrollieren, sondern sicherzustellen, dass Russland weder das Gesicht noch die strategische Kontrolle über den Donbas und die Krim verliert. Er weiß, dass die Zeit gegen ihn spielt: Die russische Wirtschaft könnte erlahmen, die militärischen Verluste häufen sich. ... In dieser brutalen Realität könnte das Treffen einen minimalen, aber entscheidenden Rahmen hervorbringen: die Kämpfe einfrieren, die Pufferzonen sichern und einen noch unvorbereiteten politischen Prozess einleiten. Das wäre kein Frieden, aber das Ende des 'heißen Krieges'. Und in diesem Kontext wäre das bereits ein historischer Erfolg.“

Večernji list (HR) /

Es gibt immer einen größeren Hai

Das Recht des Stärkeren darf nicht die Grundlage eines Friedens sein, meint Večernji list:

„Jede Lösung, die auf dem Recht des Stärkeren beruht und alle friedenstiftenden und zivilisatorischen Möglichkeiten der Konfliktlösung durch Diplomatie zunichte macht, stellt auch für starke Staaten eine Gefahr dar. Denn wie im Meer gibt es immer einen größeren Fisch, der vorbeikommen kann. ... Stärker als Putins Russland ist [neben den USA] auch China. Bei Trump weiß man, dass er sein Territorium auf Grönland ausweiten möchte. Weniger bekannt ist, dass China mit viel Leidenschaft mit dem Territorium Sibiriens liebäugelt. ... Die Anerkennung des Rechts des Stärkeren und das 'Einfrieren' von erobertem Gebiet könnte zum Bumerang für Putins Russland werden.“

Fakti.bg (BG) /

Beide Seiten mobilisieren ihre Unterstützer

Im Vorfeld des Trump-Putin-Treffens laufen hinter den Kulissen intensive Absprachen, betont fakti.bg:

„Putin hätte sonst nicht an einem Tag mit mindestens fünf Staats- und Regierungschefs wie Xi Jinping, Modi, Ramaphosa aus Südafrika sowie den Staatschefs von Usbekistan, Kasachstan und Belarus telefoniert. ... JD Vance, der in Schottland Urlaub macht, trifft sich mit wichtigen Staats- und Regierungschefs Europas wie Starmer, Macron und Merz und hört sich ihre Ideen für einen Waffenstillstand in der Ukraine an. Europa ist zum Entsetzen von Kyjiw und Brüssel vom Verhandlungsprozess zwischen Russland und den USA isoliert, aber der gute Ton verlangt, dass man ihnen etwas mitteilt, um zumindest den Anschein von Verbündeten zu erwecken.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Ein Wink mit dem Zaunpfahl

Der Tagesspiegel weist darauf hin, dass der Verhandlungsort eine besondere Symbolik birgt:

„Alaska wurde Mitte des 19. Jahrhunderts von Russland an die USA verkauft. Das zeigt: Grenzen können verschoben werden. Allein die Wahl des Ortes muss – gewollt oder ungewollt – ein Signal an die Ukraine sein, dass man sich einen Frieden mit Gebietsabtretungen wohl 'erkaufen' muss. Alaska ist aber auch eine Botschaft an die USA. Für viele Russen gehört die Region am Polarkreis weiter fest zu ihrer Heimat. Der US-Bundestaat ist ein Stachel in der russischen Seele – ähnlich wie die ukrainische Krim.“