Führt kein Weg an Aufrüstung vorbei?

Angesichts des russischen Kriegs gegen die Ukraine haben unter anderem Deutschland, Polen, Dänemark und Schweden angekündigt, ihre Militärbudgets zu erhöhen. Allein Berlin plant in diesem Jahr, 100 Milliarden Euro zusätzlich auszugeben. Aber Geld ist bei der Verteidigung nicht alles, bemerkt Europas Presse.

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Diário de Notícias (PT) /

Effizienz statt neuer Waffen

Die weitere Aufrüstung einzelner EU-Staaten ist nicht zielführend, meint der ehemalige Nato-Generalsekretär Javier Solana in Diário de Notícias:

„Europa muss zwar eindeutig in seine militärischen Fähigkeiten investieren, aber das bedeutet nicht nur, mehr Geld auszugeben, sondern solche Anstrengungen als Europäer und nicht als einzelne Staaten zu unternehmen. Nach Angaben der Europäischen Verteidigungsagentur geben die EU-Mitgliedstaaten jährlich insgesamt rund 200 Milliarden Euro für die Verteidigung aus, mehr als Indien, Russland und das Vereinigte Königreich zusammen. Die Aufgabe besteht nun darin, die Effizienz zu verbessern, anstatt einfach die Militärausgaben auf nationaler Ebene zu erhöhen.“

La Tribune (FR) /

Berlin arbeitet gegen Paris

Die von Berlin geplanten Rüstungseinkäufe werden die Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit französischen Systemen vergrößern, kritisieren Verteidigungsexperten der Groupe Vauban in La Tribune:

„Deutschland wird also eine Rüstungspolitik fortsetzen, die seiner Doktrin entspricht: amerikanisch, um seine Sicherheit zu kaufen, und national, um seine Rüstungsindustrie zu fördern und die Industriekooperationen besser zu seinem Profit auszuhandeln. Kooperationsprogramme mögen zum Teil mit Frankreich durchgeführt werden, aber in vielen Bereichen wird der Partner bereits vernachlässigt. … Das Sondervermögen, das weit davon entfernt ist, die deutsch-französische Zusammenarbeit zu beleben, könnte sie in Wirklichkeit begraben.“

Kurier (AT) /

Nicht auf die Nachbarstaaten verlassen

Gerade neutrale Staaten wie Österreich müssen ein gut gerüstetes Militär haben, plädiert der Kurier für mehr Engagement Wiens:

„Österreich hat es sich in den vergangenen Jahrzehnten verdammt gemütlich in seiner Neutralität eingerichtet ... Österreich hat die Armee ... fast totgespart und sich hanebüchene Diskussionen geleistet. ... Als es in der Vergangenheit darum ging, Ersatz für teils schrottreife Heeres-Flieger zu beschaffen, wurde mancherorts darüber diskutiert, ob nicht Nachbarstaaten den Luftraum 'mit-sichern' könnten - damit sich das neutrale Österreich die Jet-Kosten erspart. Derlei war dumm. Vor allem aber war es unsolidarisch.“

Verslo žinios (LT) /

Mehr Unterstützung für Rüstungskonzerne

Mehr staatliche Unterstützung für die Rüstungsbranche in Litauen verlangt die Wirtschaftszeitung Verslo žinios:

„Litauens Kriegsindustrie will ihre Drehzahl erhöhen, aber drei Hauptgründe stoppen das Wachstum: Mangel an staatlicher Strategie und Unterstützung, überflüssige Bedingungen für die Unternehmen und öffentliche Beschaffungen. ... Jetzt, wo wir uns selbst auf die Gefahr vorbereiten, ist es sehr wichtig, lokale Unternehmen zu haben, die in einer Kriegssituation und in Isolation weiter arbeiten und zur Verteidigung des Landes beitragen könnten. ... Die Produzenten sind bereit, mehr für die Landesverteidigung, unsere und ukrainische Soldaten zu tun. Deshalb ist der Appel der Wirtschaft an die Verteidigungsinstitutionen und der Vorschlag einer besseren Zusammenarbeit selbstverständlich.“

La Stampa (IT) /

Waffen und Bildung müssen Hand in Hand gehen

Papst Franziskus hat die Aufrüstung als Schande bezeichnet. Leider sind Waffen aber notwendig, entgegnet der Theologe Vito Mancuso in La Stampa:

„Wie sollte man dem Papst nicht zustimmen, wenn er sagt, die wirkliche Antwort seien nicht mehr Waffen, mehr Sanktionen, mehr politische und militärische Bündnisse, sondern eine andere Art, die heutige globalisierte Welt zu regieren? ... In der Zwischenzeit tun jedoch die westlichen Regierungen gut daran, die Realität zur Kenntnis zu nehmen. … Allerdings mit einem entscheidenden Vorbehalt: Angesichts der Tatsache, dass die modernen Waffen uns alle unzählige Male zerstören können, ist es zur Vermeidung der Selbstzerstörung notwendig, dass die Regierungen mehr noch als in Waffen in die Bildung unseres Gewissens investieren.“

Expressen (SE) /

Demokratie braucht Abschreckung

Deutschland sollte Atomwaffen anschaffen, fordert der Journalist Ola Wong in Expressen:

„Alle klar denkenden Menschen wollen eine atomwaffenfreie Welt. Aber Hoffnungen helfen nicht in einer Welt, in der Despoten Macht einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Demokratie braucht Abschreckung. ... Wenn wir eines in den letzten Wochen gelernt haben, dann, dass das politisch Undenkbare über Nacht möglich werden kann. ... Ich persönlich fände es gut, wenn das einzige große Land, das sich ernsthaft mit seiner Geschichte auseinandergesetzt hat, Verantwortung dafür übernimmt, uns zu beschützen.“

T24 (TR) /

Eiserner Vorhang 2.0

Ein neuer Eiserner Vorhang könnte sich nun in Europa senken, fürchtet T24:

„Der Vorhang, der nach dem Zweiten Weltkrieg von Nord nach Süd, von Meer zu Meer gezogen wurde, senkt sich diesmal nicht von Stettin an der Ostseeküste nach Triest an der Adria. Diesmal scheinen die Grenzen weiter nach Osten verschoben worden zu sein. ... Natürlich gibt es parallel dazu eine Nato-Linie weiter westlich. Zwischen beiden könnte es eine Pufferzone geben, also eine halb entmilitarisierte Zwischenzone. ... Hoffen wir, dass der Krieg in der Ukraine nicht zu einer solchen Konfrontation und einem solchen Vorhang führt. Doch die eingeschlagene Richtung deutet an, dass es zu solch einem Vorhang kommt.“