Neustart für Europas Linke?

Viele Staaten in Europa erleben einen Rechtsruck, während linke und sozialdemokratische Parteien in den vergangenen Jahren immer mehr Stimmen verloren. In Deutschland hat Sahra Wagenknecht, Fraktionschefin der Linken im Bundestag, nun eine neue linke Sammelbewegung gegründet. Kommentatoren diskutieren deren Potenzial und erklären, warum die Linke Einwanderung teilweise kritisch gegenübersteht.

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Deutschlandfunk (DE) /

Altbekannte Positionen etablierter Akteure

Der Deutschlandfunk kann mit der Bewegung Aufstehen nichts anfangen:

„Inhaltlich ist Aufstehen vor allem ein Aufguss altbekannter Positionen linker Akteure. Der Gründungsaufruf könnte genau so auch vor zwei oder zehn Jahren verfasst worden sein - er ist eine Analyse des Ist, kein Aufruf für konkretes Handeln. ... Analysiert man die Struktur, dann ist Aufstehen eine klassische Top-Down-Organisation, hierarchisch aufgebaut. Die Organisatoren haben einen Verein gegründet, in dem sie Mitglied sind. Sie haben eine Website, über die Interessenten mitteilen können, woran sie interessiert sind, bei was sie mitwirken wollen. Rechte des Unterstützers? Keine. ... Tatsächlich ... gibt die Organisation vor allem jenen eine Stimme, eine Legitimation, die eine solche schon lange haben. Die auch vorher Öffentlichkeit herstellen konnten.“

Libération (FR) /

Zuwanderung Vorwand für Lohndumping

Warum linke Formationen wie Sahra Wagenknechts neue Bewegung Aufstehen eine zunehmend zuwanderungsfeindliche Haltung einnehmen, erklärt der Ökonom Bruno Amable in seiner Kolumne bei Libération:

„Massiver Flüchtlingszuzug wie 2015 und 2016 in Deutschland können als Vorwand für eine Liberalisierung des Arbeitsmarkts genutzt werden, was negative Auswirkungen auf das Lohnniveau hat. Die deutschen Konservativen haben vergeblich versucht, den gerade erst eingeführten Mindestlohn zu senken, um - so ihre Erklärung - die Zuwanderer besser zu integrieren. Hinzu kommt, dass bereits Lohnsenkungen im niedrigen Prozentbereich nicht zu vernachlässigende Konsequenzen für Niedriglöhner haben können. Mit Blick auf Deutschland ist es sicher kein reiner Zufall, dass sich die Ablehnung von Zuwanderern in Regionen mit hohem Anteil armer Beschäftigter stärker äußert als anderswo.“

Dimokratia (GR) /

Andere Haltung gegenüber Migration nötig

Die Linke in Deutschland hat verstanden, wie mit Zuwanderung umzugehen ist, kommentiert die konservative Tageszeitung Dimokratia mit Blick auf Griechenland:

„In Deutschland hat die Linke verstanden, dass sie ohne Wähler bleiben wird, wenn sie weiterhin die illegale Einwanderung unterstützt und deswegen den Kurs geändert. In Griechenland, wo schon vor dem Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien eine beispiellose Invasion von Islamisten stattgefunden hat, kehren die etablierten Parteien dem Problem den Rücken und glauben, dass es einfach vergessen wird. Sie sind der Meinung, dass die Wähler sich nicht sonderlich damit beschäftigen und dass sich dieses Problem von selbst löst. Doch dieser Gedanke wird sich als sehr falsch erweisen.“

Mérce (HU) /

Impotent gegenüber dem Kapital

Linke Regierungen sind machtlos gegenüber den Interessen des Kapitals, meint Mérce:

„Wenn wir dafür ein zeitgenössisches Beispiel suchen, dann reicht es, nach Griechenland zu schauen. Dort zeigt sich, was der mehrmals formulierte Wählerwille gegenüber den Interessen des Kapitals wert ist. Es verdeutlicht auch, wie pragmatisch, gemäßigt und - wenn nötig - impotent die Art Sozialdemokratie ist, die [die Regierungspartei] Syriza verkörpert. Jene Syriza, die die konservative und liberale Presse weltweit als schreckliche rote Gefahr und 'Kommunistischen Schrecken' beschrieb. Nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.“

Le Monde (FR) /

Labour hinkt Zeit hinterher

An der britischen Labour-Partei unter Jeremy Corbyn lässt der Journalist Nick Cohen in Le Monde kein gutes Haar:

„Es ist eine rückständige Bewegung, geleitet von 70-jährigen Männern, die ein politisches und wirtschaftliches Programm aus den 1970ern wieder aufwärmen wollen. Das Problem mit dieser Linken - und das ist vielleicht ähnlich in Frankreich - ist, dass sie die Wirtschaft seit einer Generation völlig vernachlässigt hat. Das ist paradox, wenn man berücksichtigt, dass Marx vor allem ein Wirtschaftswissenschaftler war. Ich würde sagen, wir haben eine post-marxistische Partei vor uns: Marx hat eine kohärente Kritik an der Gesellschaft formuliert. Corbyns Linke ist unfähig, das zu tun.“

Gazeta Wyborcza (PL) /

Polens Linke muss Privilegien abbauen

Ein paar Themen, derer sich die polnische Linke annehmen sollte, zählt der Journalist Jacek Żakowski in Gazeta Wyborcza auf:

„Hat die demokratische Linke eine Idee, wie man bewirken kann, dass die Patienten in den Krankenhäusern in den Genuss der gleichen zivilisatorischen Standards kommen, wie Angestellte in Ministerien oder Banken, zum Beispiel einer Klimaanlage? In Zeiten der größten Hitze ist es in den Büros kühl, aber in den Krankenhäusern herrscht sengende Hitze. ... Kann die demokratische Linke sicherstellen, dass die Lebensqualität derer, die in das Erwachsenenleben eintreten, mit ähnlichem Ernst behandelt wird, wie die Rechte der älteren Generationen? Das Missverhältnis ist riesig geworden und wächst weiter.“

Le Figaro (FR) /

Neue Bewegung im Auge behalten

Sahra Wagenknechts neue Sammlungsbewegung "Aufstehen" könnte wegweisend für Europa sein, glaubt der konservative Abgeordnete und Historiker Jean-Louis Thiériot in Le Figaro:

„Unterstützt wird sie von [ihrem Mann] Oskar Lafontaine, Mitbegründer der Partei Die Linke und früherer sozialdemokratischer Minister. ... Auch von verschiedenen Persönlichkeiten, wie dem Sohn Willy Brandts, erhält sie Unterstützung. Der Spiegel schätzt die Anzahl von Anhängern, die sich Sahra Wagenknecht angeschlossen haben, auf rund 70.000. ... Der Fall Wagenknecht verdient es, genau beobachtet zu werden. Egal, ob er scheitert oder von Erfolg gekrönt wird, er ist richtungsweisend. Seit diesem Sommer ist Deutschland zweifelsfrei ein Labor für die Neuausrichtung von Europas Linken.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Zerrieben zwischen Liberalen und Identitären

Das Dilemma, das zur Krise linker Parteien geführt hat, beschreibt die Süddeutsche Zeitung:

„Längst ist der Begriff 'links' nicht mehr zwingend mit Kapitalismuskritik verbunden, sondern beschränkt sich auf Forderungen nach sexueller Gleichheit oder Minderheitenschutz. Daran ist nichts verkehrt, doch sind das gleichsam liberale Werte. Mit dem Ergebnis, dass die westliche Welt sich heute in ein liberales Lager derjenigen teilt, die vom globalen Austausch profitieren und für offene Gesellschaften plädieren - und ein tendenziell identitäres Lager, das sein Heil in nationaler Identität und Abschottung sucht, mit immer mehr Fans von Ungarn bis Katalonien. Für eine linke Sammlungsbewegung und ihre Utopien bleibt dazwischen anscheinend kein Platz.“

888.hu (HU) /

Die Linke ist antisemitisch

Die europäische Linke muss sich einem ernsthaften Problem in ihren Reihen stellen, findet das regierungsnahe, rechtsnationale Portal 888:

„Worin liegt die ideologische Grundlage für den Antisemitismus der westeuropäischen Linken? Die Antwort ist sehr einfach. In ihrer Kirchenfeindlichkeit. Deswegen verschließt sie die Augen vor der Dämonisierung der Juden durch die Muslime. Denn die Kirchenfeindlichkeit ist das Bindeglied zwischen den linken Bewegungen, genauer ihre Ablehnung des Christentums. Im Namen des Multikulturalismus sympathisiert die Linke mit den Muslimen, während sie im Zuge ihrer Kirchenfeindlichkeit den Antisemitismus an ihre Brust drückt. ... Schon in den 1970er Jahren fiel es der deutschen Linksterroristin Ulrike Meinhof ein, zu sagen, Antisemitismus sei eigentlich der Hass auf den Kapitalismus.“