Wie weiter mit dem ukrainischen Getreide?

Polen, Ungarn, die Slowakei und Bulgarien halten an ihren Importstopps für ukrainisches Getreide fest, erlauben nur den Transit unter Auflagen. Das Korn hatte ihre Märkte überschwemmt, weil der eigentlich vorgesehene Weiterexport über den Landweg teuer und kompliziert ist. Die übliche Route per Schiff ist trotz Getreide-Deal eingeschränkt. Die EU-Komission will nun temporäre Beschränkungen erlauben, um die Blockade zu beenden.

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Ukrajinska Prawda (UA) /

Verfügbare Rechtsmittel nutzen

Um die Differenzen mit der EU zu bereinigen, sollte die Ukraine ein Schiedsverfahren anstreben, meint Juri Pantschenko, Redakteur bei Ukrajinska Prawda:

„Schließlich haben wir immer einen Mechanismus zum Schutz unserer nationalen Interessen in Form des Schiedsverfahrens, wie es im Assoziierungsabkommen festgelegt ist. Auch wenn es mindestens ein Jahr dauern wird, bis der Streit in diesem Schiedsverfahren geklärt ist, hat die Ukraine sehr gute Chancen zu gewinnen - und Brüssel ist sich dessen bewusst. Die Ukraine ihrerseits ist besonders daran interessiert, diese Angelegenheit so schnell wie möglich zu lösen, da sie andernfalls unsere Beziehungen zur EU dauerhaft schädigen und auf der letzten Etappe vor dem EU-Beitritt zusätzliche Probleme schaffen könnte.“

Ukrajinske radio (UA) /

Die wichtigste Hürde ist weg

Ukrajinske radio zeigt sich optimistisch:

„Die Hauptsache ist, dass uns der Transit erlaubt wird und dass er normal und zivilisiert abläuft - ohne Treibstoffkontrollen zum Beispiel. Wir werden einen Käufer in Europa finden. Es ist klar, dass die Logistikkosten sehr hoch sein werden, die Weltmarktpreise sind derzeit nicht sehr günstig, und die Preise für Getreide werden im Inland sinken, aber unsere Landwirte kann nichts schrecken.“

taz, die tageszeitung (DE) /

EU-Landwirte machen immer noch gute Geschäfte

Die taz sieht keine Probleme mehr:

„Am Ende wird sich das ukrainische Getreide wohl besser in der Europäischen Union verteilen. Außerdem wird der Weitertransport etwa nach Afrika attraktiver. Die deutschen Bauern werden insofern leiden, als sie stärker der ukrainischen Billigkonkurrenz ausgesetzt sein werden. Aber die Agrarpreise sind derzeit sehr hoch, gerade Ackerbauern haben zuletzt so viel verdient wie lange nicht mehr. Auch wenn Getreide etwas billiger wird, würden die Landwirte immer noch gute Geschäfte machen – und nebenbei würde die Inflation gedämpft.“

Magyar Nemzet (HU) /

Die Ukraine profitiert gar nicht

Am Verkauf ukrainischen Getreides verdienen vor allem ausländische Großunternehmen, bemerkt János Zila vom regierungsnahen Think Tank Alapjogokért Központ in Magyar Nemzet:

„Eine Analyse des Oakland Instituts [unabhängiger Think Tank in Kalifornien] stellt die zehn größten Unternehmen vor, die in der Ukraine landwirtschaftliche Flächen besitzen: davon sind zwei US-basiert und eins saudisch. ... Nach 2014 sind amerikanische, britische, deutsche, französische, niederländische und tschechische Aktionäre aufgetaucht. Die kleinen und mittleren ukrainischen Landwirte sind dazu gezwungen, immer kleinere Flächen zu bewirtschaften und haben kaum Zugang zu Subventionen. ... Das bedeutet, dass ein Großteil der Verkäufe nach Europa nicht der ukrainischen Bevölkerung zugutekommt, sondern großen westlichen Investoren und korrupten Oligarchen.“

Iltalehti (FI) /

Keine schönen Aussichten

Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine wäre eine Herausforderung, glaubt Iltalehti:

„In der EU haben die ukrainischen Getreidelieferungen und die 'Brüsseler Eierkrise' den Mitgliedstaaten vor Augen geführt, was es für die EU bedeuten würde, Europas Kornkammer aufzunehmen - denn billiges ukrainisches Getreide und landwirtschaftliche Erzeugnisse haben begonnen, den EU-Binnenmarkt zu überschwemmen. Brüssel ertrinkt in Eiern, und polnische und andere Landwirte in der östlichen EU sind wütend über den Preisdruck durch ukrainisches Getreide in der EU. … Sollte die Ukraine Mitglied der EU werden, wäre dies eine kalte Dusche für alle EU-Staaten mit ausgeprägter Landwirtschaft.“

Sme (SK) /

Falsche Anschuldigungen haben Konjunktur

Sme ärgert sich darüber, dass falsche Angaben über angeblich im ukrainischen Getreide enthaltene Pestizide in die Welt gesetzt wurden:

„Tschechien hat sich dem Importverbot nicht angeschlossen, dort spricht man von 'Humbug'. Anstatt die Urheber und Verbreiter des Pestizid-Schwindels ins Gefängnis zu stecken, wird in der Slowakei schon den dritten Tag über den Unsinn debattiert. Und das in einer Situation, wo die halbe Welt das Getreide aus der Ukraine verzehrt, ohne dass es einen gesundheitlichen Zwischenfall gegeben hätte. “

Dnevnik (BG) /

Das Preisproblem ist nicht ukrainisch

Dnevnik glaubt nicht, dass sich das bulgarische Einfuhrverbot auf den Getreidepreis auswirken wird:

„Das Problem der bulgarischen Landwirte hat nichts mit den Importen aus der Ukraine zu tun, denn ihr Umfang ist minimal. Beim Weizen machen sie 0,3 Prozent der bulgarischen Produktion aus. ... Es ist zwar eine gelungene PR-Kampagne, aber der Importstopp wird das Preisproblem nicht lösen. Vielmehr wurden im vergangenen Jahr die Getreidepreise auf dem Weltmarkt und auf dem bulgarischen Markt künstlich in die Höhe getrieben, da viele Erzeuger in Erwartung höherer Preise einen Teil ihrer Produktion zurückhielten. In diesem Jahr haben die Preise aber wieder das Vorkriegsniveau erreicht.“

Rzeczpospolita (PL) /

Ein Beitritt wird für die EU-Staaten schmerzhaft

Die europäische Integration der Ukraine wird kein Selbstläufer, befürchtet Rzeczpospolita:

„Polen muss sich auf die Kosten vorbereiten, die mit dem Beitritt seines östlichen Nachbarn zur EU verbunden sind. ... Diese Entscheidung erfordert Einstimmigkeit der EU-Staaten, von denen viele - vor allem in Westeuropa - Zweifel haben. Der jüngste Streit Polens mit der Ukraine hat ihnen ein zusätzliches Argument geliefert: Selbst der größte Fürsprecher Kyjiws hat Probleme mit der Erweiterung. Denn unser östlicher Nachbar ist nicht nur ein vom Krieg verwüstetes Land, sondern auch ein riesiger Staat, dessen Integration kostspielig und für die derzeitigen EU-Mitglieder möglicherweise schmerzhafte soziale Folgen mit sich bringt.“

Delo (SI) /

Zollfreiheit bleibt ein Streitpunkt

Der Streit gefährdet die Unterstützung für die Ukraine in der EU, befürchtet Delo:

„Die Solidarität mit der Ukraine wurde in den letzten Wochen auf die Probe gestellt, denn die östlichen Mitgliedsstaaten werden mit billigem Getreide überschwemmt und ärgern sich. Zur Unterstützung der Ukraine im Krieg verzichtete die EU auf Handelsbeschränkungen und Zölle, und diese Regelung wird voraussichtlich im Juni verlängert. Einseitige Maßnahmen der Mitgliedsstaaten, die den gesamten Binnenmarkt betreffen und wohl im Widerspruch zum EU-Recht stehen, sind für Brüssel nicht hinnehmbar. Die Ukraine, der im Juni 2022 offiziell der Kandidatenstatus zuerkannt wurde, wird der EU noch eine Weile nicht beitreten, aber die Getreideprobleme deuten darauf hin, was bei und nach ihrem Beitritt passieren könnte.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Gefährliche Risse

Hospodářské noviny mahnt:

„In Mitteleuropa offenbart der Streit um ukrainisches Getreide die in der Gesellschaft vorhandenen antiukrainischen Strömungen. In Polen und der Slowakei sind diese mit den Nationalisten verbunden und es ist kein Zufall, dass sie dort am lautesten auftreten – in beiden Ländern finden im Herbst Wahlen statt. Die Schwächung der ukrainischen Unterstützung in Mitteleuropa ist für Russlands Propaganda umso wichtiger, als bisher gerade Staaten wie Polen oder Tschechien ihre Partner aus dem westlichen Teil der EU unter Druck setzten, mehr für die Ukraine zu tun. Wenn es Russland gelingt, die Unterstützung für die Ukraine in Mitteleuropa zu schwächen, wird sie im gesamten Westen schwächer.“

The Spectator (GB) /

Brüssel versteht Mitglieder im Osten nicht

Die Blockade ist ein nachvollziehbarer Schutzmechanismus, für den die EU mehr Verständnis zeigen sollte, findet The Spectator:

„Die EU unterstützt die Ukraine und deren Interessen ausdrücklich. Nichtsdestotrotz muss sie auch hinter ihren Mitgliedsstaaten stehen. Von Ursula von der Leyen hätten diese Staaten eine überlegte, nuancierte und zügige Reaktion oder auch ein paar wohlwollende Worte erwarten können. Aber das haben sie leider nicht bekommen. ... Das unterstreicht Brüssels langjähriges Versagen, Osteuropa zu verstehen. Die EU hat nicht begriffen, dass die relativ effiziente Landwirtschaft dort – anders als in weiten Teilen des Westens – ein wichtiger Wirtschaftszweig ist, der unterstützt werden muss.“

Új Szó (SK) /

Bratislava im Dilemma

Die slowakische Regierung steht im Hinblick auf die kommenden Wahlen vor einer schwierigen Abwägung, beobachtet Új Szó:

„Die Landwirtschaft ist in allen Ländern eines der heikelsten politischen Themen, das den Ausgang der Parlamentswahlen beeinflussen könnte. Dieses Motiv ist vor allem in der Slowakei zu beobachten, denn die vorgezogene Parlamentswahl im September rückt täglich näher. ... Das ukrainische Getreide, das auf den slowakischen Markt gelangte, hatte tatsächlich auch auf die slowakischen Landwirte eine negative Auswirkung, doch das einseitige Importverbot verstößt nicht nur gegen die EU-Vorschriften, sondern verschlechtert auch die bilateralen Beziehungen zwischen der Slowakei und der Ukraine.“

Strana (UA) /

Für EU-Staaten ist Ukraine eine Konkurrentin

Einfach wird die Beziehung zur EU auch nach dem Krieg nicht werden, befürchtet Strana:

„Der europäische Markt wird für ukrainische Agrarerzeugnisse faktisch geschlossen werden. ... Und auch der Transit wird, wie wir ja an den Beispielen Rumänien und Polen sehen, von den Grenzländern maximal erschwert werden. Wenn der Getreidekorridor in den Schwarzmeerhäfen im Mai nicht mehr verlängert wird, wird es wirklich kritisch für die ukrainischen Lebensmittelexporte. ... Alles in allem ist dies sicherlich kein positives Signal für die Ukraine, die den Beitritt zur EU anstrebt. Nach der Episode um die Agrarexporte zu urteilen, sieht Europa die Ukraine als Konkurrentin. Und wenn solch drastische protektionistische Maßnahmen während des Krieges ergriffen werden, kann man nur erahnen, was man der Ukraine erst nach dessen Ende auferlegen wird.“