Steigende Energiepreise: Wie reagieren?

Im Zuge des rasant gestiegenen Erdgaspreises sind Strom und Kraftstoff in Europa derzeit teuer wie nie. Einige Länder Europas haben bereits angefangen, die Preise zu regulieren, andere denken darüber nach - denn der Winter könnte viele Verbraucher vor unbezahlbare Heizkosten stellen. Europas Medien diskutieren, ob und welche Maßnahmen sinnvoll sind.

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Novi list (HR) /

Regulierung keine Dauerlösung

Die kroatische Regierung reagierte auf die hohen Kraftstoffpreise durchaus unerwartet, schreibt Novi list:

„Die Öffentlichkeit war letzte Woche überrascht, als die Regierung zeitweise die Preise für Benzin und Diesel auf 11,10 beziehungsweise 11 Kuna [knapp 1,50 Euro] festsetzte. Die Mehrheit der Bürger hatte erwartet, dass die Regierung Verbrauchs- und Mehrwertsteuer senken würde. ... Eine Preisbeschränkung zu Lasten der Händler oder Hersteller muss zeitlich begrenzt sein. ... Wenn sie länger dauert, wird es früher oder später zu Produktknappheiten kommen, da die Wirtschaft ihren Profit verliert. So haben z.B. die [Sprithersteller] Ina und Tifon gleich gewarnt, dass den Tankstellen mit der Zeit die qualitativ hochwertigeren Kraftstoffe ausgehen könnten.“

Handelsblatt (DE) /

Erhöhungen ja, aber berechenbar

Die Staaten dürfen jetzt nicht die Botschaft senden, dass sie ihre Bürger für immer vor steigenden Preisen beschützen werden, warnt das Handelsblatt:

„Denn das Gegenteil ist ja geplant. ... Der Preis für Energie muss hoch sein und steigen. Aber er sollte so berechenbar sein wie irgend möglich. Das würde es den Verbrauchern ermöglichen, eine informierte Entscheidung zu treffen, wenn sie viele Tausend Euro in ein neues Auto oder eine neue Heizung investieren. Und es würde den Regierungen ermöglichen, den sozialen Ausgleich genau zu steuern - über höhere Sozialhilfesätze, niedrigere Steuern und niedrigere Lohnnebenkosten oder auch über ein Energiegeld, das jeder Bürger pauschal ausgezahlt bekommt.“

Večer (SI) /

Neoliberale EU-Politik hat versagt

Die Europäische Kommission hat vergangene Woche eine Toolbox vorgestellt, die die Staaten zur Regulierung anwenden können, ohne gegen die europäischen Wettbewerbsregeln zu verstoßen. Večer kommentiert:

„Bisher hat die Kommission ausschließlich auf den Wettbewerb und den Markt gesetzt, bei dem der Preis von Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Die neoliberale Ideologie, bei der alles vom Markt reguliert wird, ist nun offiziell auch im Energiebereich gefallen. Damit ein Großteil der Haushalte auch in den reichsten EU-Mitgliedsstaaten in diesem Winter nicht in ihren Häusern friert und Unternehmen die Produktion nicht einschränken müssen, muss Vater Staat zu Hilfe kommen.“

Diário de Notícias (PT) /

Das läuft auf Auto-Entzug hinaus

Die grüne Wende raubt den wirtschaftlich Schwächeren gerade ihre Bürgerrechte, entrüstet sich die ehemalige Parlamentsabgeordnete Joana Amaral Dias in Diário de Notícias:

„Wenn das so weiter geht, dann können bald nur noch die Reichen und die Sparsamen mit dem Auto fahren. ... Nur jemand, der viel oder sehr viel Geld zur Verfügung hat, wird entweder diese unerschwinglichen Kraftstoffpreise bezahlen oder das Auto umtauschen und eine andere Technologie wählen können. So ist das jetzt: Die Energiewende ist erzwungen worden, ohne an Alternativen zu denken. Und ohne denjenigen, die das Auto brauchen, zu garantieren, dass ihnen nicht ein lebenswichtiges Gut für ihre Existenz, die Mobilität und die Selbstständigkeit entzogen wird; dass ihnen nicht ein wichtiger Teil ihrer Bürgerrechte geraubt wird.“

Diena (LV) /

Noch sitzt die Regierung im Warmen

Diena wundert sich, dass Lettlands Regierung nicht vorhat, auf den Preisanstieg zu reagieren:

„Der Wirtschaftsminister sagt, es gebe keinen Anlass, über einen Mangel an Energieressourcen oder den Preisanstieg zu sprechen. Wahrscheinlich ist seine Familie nicht von der Krise bedroht, aber für eine typische Familie in Riga sieht die Situation anders aus: Seit dem 1. Juli sind die Gastarife um 42 Prozent gestiegen, die Strompreise um 10 bis 42 Prozent. Die Heizkosten sind seit dem 1. September um 26,6 Prozent gestiegen und werden zum 1. November erneut um 16 Prozent steigen. ... Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Händler wegen der hohen Preise das unterirdische Gasreservoir in Inčukalns schon bis Januar bis auf eine festgelegte Reserve für kurzfristige Krisen leeren. ... Dann wird auch der Wirtschaftsminister in seiner Wohnung frieren.“

Delfi (LT) /

Die Rechnung geht nicht auf

Litauens Regierung will die Energiepreise für die Bürger einfrieren und die erhöhten Kosten über die nächsten fünf Jahre verteilen. Delfi kritisiert das:

„Falls die Prognose des Energieministers, dass die Preissteigerung nur eine vorübergehende Sache ist, sich nicht bestätigt, werden die höheren Rechnungsbeträge die Menschen später einholen. Wenn wir jetzt den Höhepunkt der Preise kappen, müssen in der Zukunft alle Steuerzahler das ineffektive zentrale Heizkraftwerk von Vilnius unterstützen [das noch stark auf Erdgas baut]. Und dieses Preise-Abschneiden hat noch eine Zukunfts-Komponente: Man überreicht die Rechnung an die nächste Regierung. Heizen heute, bezahlen morgen. Sollen sich andere mit dem Kostenproblem herumschlagen.“

NRC (NL) /

Gegen Putins Dominanz helfen nur Erneuerbare

Am Mittwoch schoss der Erdgaspreis besonders stark nach oben, um dann wieder drastisch zurückzugehen - angeblich nach einem Angebot Putins, bei der Stabilisierung des Marktes zu helfen. Russlands Präsident kann in dieser Krise nur gewinnen, meint NRC Handelsblad:

„Wenn er den Gashahn noch weiter schließt, weiß jeder, wer der Boss ist. Wenn er ihn aber öffnet, ist er ein Held und verdient auch noch daran. ... Die europäischen Regierungschefs sprachen am Dienstag stundenlang über Europas Unabhängigkeit in Sicherheits- und Wirtschaftsfragen. Es ist klug, dieses Gespräch fortzusetzen. Während in der EU Panik über einen bevorstehenden Energiemangel herrscht, musste Putin nur zweimal nicken, um den Preis sinken zu lassen. Langfristig gibt es nur eine Art, um sich aus diesem Griff zu befreien: Alternative Energien fördern.“

Jutarnji list (HR) /

Keine Autonomie ohne Energie-Autonomie

Die Unabhängigkeit der Energieversorgung ist für Europa zentral, erläutert Jutarnji list:

„In Zeiten, in denen die EU über 'strategische Autonomie' diskutiert, um im politischen wie auch verteidigungs- und sicherheitstechnischen Sinn weniger von anderen abhängig zu sein, warnen viele innerhalb der EU, dass all dies umsonst ist, wenn man nicht auch eine größere Unabhängigkeit in Energiefragen sicherstellt. So sehr die EU in den letzten Jahren daran gearbeitet hat, ist die Abhängigkeit von äußeren Faktoren, vor allem Russland und dem Nahen Osten, immer noch zu hoch.“

Corriere della Sera (IT) /

Europäische Initiative wird schwierig

Corriere della Sera glaubt nicht, dass die EU beim Treffen des Europäischen Rates Ende Oktober eine gemeinsame Lösung finden wird:

„Eine von Frankreich, Spanien, Griechenland, der Tschechischen Republik und Rumänien gebildete Gruppe drängt auf eine rasche Reaktion der Kommission und auf koordinierte Lösungen, von der Reform des Energiemarktes bis hin zu gemeinsamen Gaseinkäufen und -speicherung. Die nördlichen Länder, aber auch Deutschland, Belgien und die Niederlande, sind vorsichtiger, wie auf der gestrigen Tagung der Umweltminister mehrerer EU-Staaten deutlich wurde. Die deutsche Ministerin Svenja Schulze erklärte, der Versuch, den freien Markt zu beeinflussen, stoße in ihrer Regierung auf Skepsis.“

Iltalehti (FI) /

Atomkraft nicht verteufeln

Iltalehti betont:

„Nötig sind Investitionen in erneuerbare Energien und Energieeffizienz, aber gleichzeitig braucht die EU noch viele Jahre die Kernkraft. Nur so können die Klimamaßnahmen umgesetzt werden, ohne den Geldbeutel der Bürger übermäßig zu belasten. Derzeit wird ein Viertel des europäischen Stroms mit Atomkraft produziert und fast die Hälfte des CO2-freien Stroms. Es besteht aber die Gefahr, dass die Atomkraft künftig aus politischen Gründen als Übel abgestempelt wird, in das nicht mehr investiert werden sollte. … Die EU muss aufpassen, dass sie nicht aus ideologischen Gründen ein System schafft, bei dem die Stromrechnungen der Bürger steigen und die Emissionen sowie die politische Instabilität zunehmen.“

In (GR) /

Dem Beispiel Bulgariens folgen

Um nicht nur Privathaushalte, sondern auch Unternehmen vor unbezahlbaren Rechnungen zu schützen, sollte sich Athen an Sofia orientieren, schreibt das Webportal In.gr:

„Der Heizkostenzuschuss ist eine Lösung für Haushalte. Eine große Erleichterung für die griechische Durchschnittsfamilie, sofern die Kriterien für deren Gewährung erweitert werden. Die Frage ist jedoch, wie Unternehmen Hilfen bekommen, damit die gestiegenen Energiekosten nicht an die Verbraucher weitergegeben werden. Einige Länder erwägen bereits Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen. Jüngstes Beispiel ist Bulgarien, wo die Übergangsregierung Subventionen in Höhe von 330 Millionen Euro anbot, um den Druck der hohen Strompreise zu lindern.“

De Standaard (BE) /

Verbraucher müssen auch für grüne Wende bezahlen

Steigende Preise für schmutzige Energie sind gewollt, stellt De Standaard klar. Da sollte man vorsichtig sein, private Haushalte zu entlasten, wie es nun die belgische Regierung plant:

„Höhere Preise für fossile Brennstoffe sind der Weg, für den sich die Welt entschieden hat, um grünere Energie wettbewerbsfähiger zu machen und den CO2-Ausstoß zu verringern. ... Die Frage ist, wie sinnvoll es ist, das [über die Energiesteuer zusätzlich eingenommene] Geld einfach so an alle Bürger zurückfließen zu lassen, oder ob es nicht besser und kosteneffektiver als Hebel für weniger und grüneren Verbrauch eingesetzt werden sollte. Das ist ohnehin die Richtung, die der Green Deal allen EU-Ländern weist: Steuern auf fossile Brennstoffe einsetzen zugunsten von grüner Energie.“

Novi list (HR) /

Dämpfer für den Klimaschutz

Die galoppierenden Erdgaspreise bedrohen die Klimaziele, erklärt Novi list:

„In China ist der Energieverbrauch auf einmal deutlich höher als die Energieproduktion, weshalb die Regierung schon angefangen hat, der Industrie und einem kleineren Teil der Haushalte den Strom abzuschalten. Peking befiehlt den Energieversorgern aber, um jeden Preis genügend Energie für diesen Winter bereitzustellen. Da China einer der größten Verbraucher der Welt ist, werden die Preise für Erdgas, Kohle und Erdöl in den nächsten Wochen weltweit wohl weiter steigen. Zudem steigen die großen Verbraucher in Asien und Europa wegen der hohen Erdgaspreise auf Erdöl um und aktivieren Kohlekraftwerke. Das stört kurzfristig die Pläne der Staaten, auf saubere Energien umzusteigen, und könnte auch den Erfolg der Klimakonferenz in Glasgow behindern.“

De Volkskrant (NL) /

Ablehnung von Kernkraft überdenken

De Volkskrant beklagt, dass die Welt sich in einer fatalen Abhängigkeit befindet:

„Fossile Brennstoffe halten verwerfliche Regimes instand. Sie haben eine Klimakrise geschaffen, deren Umfang Politiker zu lähmen scheint. Sie haben zu einem zerstörerischen Wettlauf geführt. ... Inzwischen hat die westliche Welt Kernkraftwerke, die stabilsten Energiequellen, geschlossen, oder lehnt den Bau neuer Kernkraftwerke ab - mit dem Hinweis auf mögliche Gefahren der nuklearen Technologie. Der wirkliche Schaden der fossilen Brennstoffe wurde als kleineres Übel angesehen. Beim Ausbruch der x-ten Energiekrise drängt sich die Frage auf, ob man die Risiken nicht erneut gegeneinander abwägen muss.“

El Economista (ES) /

Von Russland, USA und Algerien abhängig

In Spanien lahmt die Gasversorgung an mehreren Fronten, erklärt El Economista:

„Das Problem ist, dass die Schiffe [die Methangas aus den USA nach Europa bringen] aufgrund der Hortungspolitik großer asiatischer Volkswirtschaften wie Japan und China gerade sehr begehrt sind. ... Infolgedessen werden weniger US-Tanker die spanischen Küsten erreichen, und die spanischen Importe über diese Route werden um ein Drittel zurückgehen. Das ist beträchtlich und fällt außerdem in die Zeit eines perfekten Sturms: Die Maghreb-Gaspipeline wird wegen Unstimmigkeiten zwischen Algerien und Marokko geschlossen und Russland weigert sich, mehr Gas über die Ukraine nach Europa zu liefern. ... Ob das in Spanien zu Engpässen führt, kann man noch nicht sagen.“

Jutarnji list (HR) /

Europa muss mehr eigene Ressourcen nutzen

Europa muss unabhängiger von Gasimporten werden, fordert Jutarnji list:

„Kann man ernsthaft davon ausgehen, dass Russland bei Europas großer Energiewende kooperiert, deren Endziel ja gerade ist, den Bedarf an einem der russischen Hauptexportartikel zu eliminieren? In diesem Kontext macht es wenig Sinn, Gazprom zu dämonisieren; es wäre pragmatischer, alle falschen Schritte zu analysieren, die Europa in solch eine Situation gebracht haben. Der wichtigste Schluss für die europäischen Regierungen - auch die kroatische - wäre, alle Projekte zur Schaffung lokaler Gasreserven zu beschleunigen. Die Mengen sind sehr begrenzt und können die europäischen Bedürfnisse nicht annähernd befriedigen. Doch bedeutet jeder in Europa geförderte Kubikmeter Gas einen weniger, der importiert werden muss.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Erst Gas geben - und dann auf die Bremse steigen

Die Frankfurter Rundschau zieht aus dem Preisanstieg zwei Schlussfolgerungen:

„Erstens muss der Ausbau der Erneuerbaren Energien beschleunigt werden. Zweitens braucht es eine Erdgasstrategie. Der fossile Brennstoff wird für anderthalb Jahrzehnte eine wichtige Rolle spielen. Danach muss sein Einsatz rapide zurückgefahren werden, wenn null CO2-Emissionen erreicht werden sollen: Also eine Ausbau- und zugleich eine Ausstiegsstrategie. Bislang ist davon wenig zu erkennen.“

Maaleht (EE) /

Windkraftwerke aufstellen statt zerreden

Maaleht empfiehlt Estland und den Esten, endlich ernsthaft in Windenergie zu investieren:

„Der Tag, an dem jeder von uns einen Anteil an einem Windkraftwerk in der Tasche hat, könnte ein Signal sein, dass wir verstanden haben, wohin die Welt geht und warum. Im Moment streiten wir uns nur darum, ob eine Windturbine zehn Kilometer vom Strand entfernt verboten werden sollte, weil sie die Aussicht verdirbt. Das einzige, worüber sich alle letztendlich einig sind, ist die Erkenntnis, dass wir die Umwelt weniger verschmutzen sollten: Strom produzieren ohne Rauchwolken - zum Beispiel aus Wind. Und mit Blick auf Dänemark, den Weltpionier der Windenergie, der etwa so groß ist wie Estland. Es lohnt sich immer, von Nachbarn zu lernen.“

Kommersant (RU) /

Ungewissheit in der Branche

Für Kommersant ist die Perspektive dieses Energieträgers trotz der hohen Preise unsicher:

„Dieses Jahr wurden sehr wenige neue Gas-Förderprojekte oder langfristige Lieferverträge angekündigt. Die Abnehmer kann man ja verstehen (wer macht schon Verträge bei den aktuellen Preisen). Doch das Zögern der Förderer zeigt klar, dass die globale Gasindustrie entweder wenig an die Stabilität der aktuellen Preise glaubt oder prinzipiell nicht an die Zukunft ihrer Branche. Wie soll sie auch, wenn Gas offiziell als 'Übergangsbrennstoff' gebrandmarkt ist, dem allenfalls noch 20 Jahre bleiben. Und wenn westliche Politiker - und zunehmend auch Aktionäre - von den Unternehmen eine radikale Verringerung ihrer CO2-Bilanz erwarten.“

Rzeczpospolita (PL) /

Nicht mit uns, Wladimir!

Dass Polen besser vorbereitet ist als Westeuropa, freut Rzeczpospolita:

„Die immer höheren Rekorde, die der Gaspreis an den europäischen Börsen täglich bricht, sind das Ergebnis von Gazprom-Maßnahmen. ... Auf diese Weise will Russland der EU weitere Ausnahmen von den EU-Vorschriften aufzwingen und ein Schlupfloch in der Gasrichtlinie schaffen, damit mehr Erdgas über die gerade fertiggestellte Nord-Stream-2-Pipeline gepumpt werden kann. Während Westeuropa sich Sorgen um den Winter macht und seine Speicher noch immer nicht mit Rohstoffen gefüllt sind, kann Polen ruhig schlafen. Unsere Tanks waren schon vor dem Preisanstieg voll, und wir können Gas aus anderen Richtungen kaufen, weil wir die notwendige Infrastruktur haben. Nicht mit uns, Wladimir!“