Steigende Energiepreise: Wer soll die zahlen?

Angesichts verknappter Energieressourcen und steigender Strompreise wird in mehreren EU-Ländern darüber diskutiert, wie man die Wirtschaft retten und die Bürger entlasten kann. Europas Presse führt eine lebhafte Debatte über Übergewinnsteuern, Subventionen, Einsparpotenziale und die Rolle der Politik.

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De Volkskrant (NL) /

Vermieter in die Pflicht nehmen

De Volkskrant fordert gezielte Hilfen für einkommensschwache Gruppen:

„Vielleicht kann man für die Energierechnung von Mietern in schlecht isolierten Wohnungen - wofür sie selbst keine Verantwortung tragen - im Winter eine Obergrenze festsetzen? Oder ihre Miete einen Winter lang halbieren, sodass Vermieter angeregt werden, etwas an der Isolierung der Wohnung zu verbessern? Frankreich kann ein Vorbild sein, wo Präsident Emmanuel Macron bereits einschneidende Maßnahmen ergriffen hat. Einem Teil der Niederländer steht eine ungeahnt schwere Zeit bevor. Das ist ein Problem, das nicht auf die lange Bank geschoben werden darf.“

Deutschlandfunk (DE) /

Nicht die Aktionärsgewinne retten

Der Deutschlandfunk kritisiert die Geldausschüttung an Unternehmen über die Gasumlage in Deutschland:

„Darunter sind Unternehmen, die in den vergangenen Monaten durch die Energiepreiskrise richtig Geld gescheffelt haben. Zum Teil melden die Konzerne wie die OMV Aktiengesellschaft für dieses Jahr Rekordergebnisse. Trotzdem dürfen sie ihre gestiegenen Kosten für die Beschaffung von Gas jetzt auf die Allgemeinheit umlegen. Die Gaskundinnen in Deutschland sorgen ab Oktober also dafür, dass die Renditen der Aktionäre nicht geschmälert werden. Ist das gerecht? Definitiv nicht. Besser wäre es gewesen, gezielt die Unternehmen mit Steuergeld zu unterstützen, die durch die Gasmehrkosten wirklich in finanzielle Schieflage geraten sind - und für unsere Versorgung entscheidend sind - siehe Uniper. “

ABC (ES) /

Familien können sich nicht dauerhaft Geld leihen

ABC ist besorgt angesichts der wachsenden Verschuldung der Spanier:

„Die Haushalte haben sich schon immer Geld geliehen, um außergewöhnliche oder einmalige Ausgaben zu decken. ... Heutzutage müssen sich spanische Familien Geld leihen, um ihre täglichen Lebenskosten zu decken. ... Die Nachfrage nach Verbraucherkrediten ist innerhalb eines Jahres um mehr als fünf Prozentpunkte gestiegen. ... Unter diesen Umständen wäre es besser, die Steuern zu senken, als die Schulden der Haushalte zu erhöhen. ... Die Familien waren schon immer das Sicherheitsnetz für Arbeitslose und Mittellose. ... Eine übermäßige Verschuldung könnte die Stärke dieses Sozialgefüges, das Familie heißt, untergraben. Leider hat die Regierung wenig Respekt vor ihm.“

Dagens Nyheter (SE) /

Sparkampagne nötig

Schwedens große Parteien haben im Wahlkampf massive Ausgleichszahlungen für die steigenden Energiekosten in Aussicht gestellt. Dagens Nyheter ist davon nicht begeistert:

„[Wir brauchen] eine kräftige Energie-Sparkampagne wie zu Zeiten der Ölkrise in den 1970er Jahren. Damals wurde unter anderem angeregt, weniger zu duschen und die Raumtemperatur zu senken. Hinzufügen ließe sich beispielsweise, Geräte nicht in Standby-Position zu halten - das macht rund zehn Prozent des Energieverbrauchs in Privathaushalten aus. ... In Deutschland sind solche Kampagnen bereits voll angelaufen. In Schweden hingegen wird Geld für Hausbesitzer ausgeschüttet und Firmen [wie Facebook und Google] erhalten einen Strom-Steuerrabatt von 98 Prozent. So schafft man kein Krisenbewusstsein.“

La Libre Belgique (BE) /

Gezielte Maßnahmen nötig

Der Staat muss seine Hilfen besser organisieren, fordert La Libre Belgique:

„Der Staat hat bisher ungezielte Maßnahmen ergriffen. ... Haushalte mit Solarzellen und einem gut isolierten Haus brauchen heute keine Unterstützung, auch wenn natürlich vergangene Ausgaben berücksichtigt werden müssen. Zurückgezogen lebende Mieter - vor allem mit niedrigem Einkommen - in einer Wohnung mit miserabler Energieeffizienzklasse und Gasheizung schon. Allein dieses Beispiel zeigt, dass so schnell wie möglich ein genaues Kataster über die tatsächliche Situation der Haushalte erstellt werden muss. So würde man mit entsprechenden Maßnahmen Missbrauch und Pannen bei der Auszahlung von Prämien und anderen Fördergeldern verhindern.“

Népszava (HU) /

Die Wälder müssen geschützt werden

Die von der ungarischen Regierung verabschiedete Verordnung, dass im Winter legal Bäume zum Eigenbedarf gefällt werden dürfen, sieht Népszava sehr kritisch:

„'Gerodeter Wald' müsse nicht ersetzt werden, wenn der Wald imstande sei, sich aus Trieben natürlich zu erneuern, heißt es in der Verordnung. Ist das tatsächlich so? Was der Mensch willkürlich zerstört, kann die Natur nicht ohne weiteres ersetzen. ... Werden die Akazienwälder gerodet, von denen es in Ungarn sehr viele gibt, gerät die Honigproduktion in Gefahr und die Imker müssen am Hungertuch nagen. ...Die Bienen sind nicht nur fleißige Honigproduzenten. ... Wenn sie aussterben, bleiben unfruchtbare Felder zurück sowie Wiesen und Wälder, die sich nicht erneuern können.“

The Daily Telegraph (GB) /

Auf den freien Markt vertrauen

Dass der britische Oppositionschef Keir Starmer einen sechsmonatigen Preisdeckel für Energie fordert, um Konsumenten zu entlasten, missfällt The Daily Telegraph:

„Früher oder später wird sich das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage ändern. Das könnte schneller kommen, als wir denken. Der Markt wird sich drehen, Öl- und Gaspreise werden einbrechen, so wie es schon öfter der Fall war, wenn die Ölpreise einen Höchststand erreichten. Der Markt wird wieder sein Zauberwerk vollbracht haben. Aber er wird dies nur tun, wenn es zugelassen wird - wenn die Regierungen nicht versuchen, sich einzumischen, indem sie Verbrauchern Subventionen zahlen und sich die Gewinne der Produzenten aneignen.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Gasversorgung geht alle an

In Deutschland sollen alle Gasverbraucher ab Oktober zusätzlich 2,419 Cent pro Kilowattstunde zahlen. Diese Abgabe sei nötig, damit das System der Energieversorgung in Deutschland nicht zusammenbricht, heißt es. Für den Tagesspiegel ist sie widersprüchlich:

„Zahlen sollen sie ... nur die Haushalte, die Gas nutzen - also etwa die Hälfte. In der Wirtschaft trifft sie die Branchen besonders hart, die auf Gas angewiesen sind und nicht auf andere Energieträger umsteigen können wie die Chemie- und Glasindustrie sowie alle, die für Produktion und Vertrieb Kühlung brauchen, etwa bei Arznei- und Lebensmitteln. Einen Teilausfall der Gasversorgung bekäme jede und jeder zu spüren. Warum wird die Rettung des Systems dann nicht als gesamtgesellschaftliche Aufgabe betrachtet, die alle mitfinanzieren?“

Jinov Svet (SI) /

Grüne Wende nicht auch noch vermasseln

Beim Thema Energie-Unabhängigkeit versagt die EU kläglich, kritisiert Sašo Ornik in seinem Blog Jinov Svet:

„Wir haben den Kampf gegen Covid-19 sowie den Wirtschaftskrieg mit Russland vermasselt und wir werden auch die grüne Transformation vermasseln. Bei letzterem wird immer deutlicher, dass sich einige immens bereichern werden, wenn sie uns eine sauberere, grünere Zukunft verkaufen, sich aber in Wirklichkeit überhaupt nichts ändert. … Wir brauchen eine Kehrtwende. Um dies zu erreichen, brauchen wir andere politische Eliten, wir brauchen verantwortungsbewusstere Journalisten und Geschäftsleute. Wir müssen dafür sorgen, dass wir wirklich unabhängig vom Rest der Welt werden, und wir müssen für unsere Interessen kämpfen, nicht für die der Amerikaner.“

Eesti Päevaleht (EE) /

Nicht an der freien Marktwirtschaft zweifeln

Estland will einen subventionierten 'sozialen Strompreis' einführen. Eesti Päevaleht ist skeptisch:

„Willkommen zurück in der Planwirtschaft! Das Paket des universellen Strompreises, das bald von der Regierung präsentiert wird, entfernt uns mehrere Schritte von der Wirtschaftslogik, die Estland bisher Erfolg gebracht hat: der freien Marktwirtschaft. Bevor der Sozialstrom im Schnellverfahren durchgesetzt wird, sollte man an die IWF-Empfehlung denken: Die erfolgreichste Art, der Bevölkerung zu helfen, wäre es, das ärmste Fünftel zu unterstützen. Ein unter dem Marktpreis liegendes Universalpaket ist hingegen eine allgemeine Subvention.“

tagesschau.de (DE) /

Damit die Wut nicht hochkocht

Tagesschau.de kritisiert, dass es in Deutschland wohl keine Übergewinnsteuer geben wird:

„Für den liberalen Bundesfinanzminister Christian Lindner ist so etwas offenbar Teufelszeug. Steuern dürfe man jetzt nicht erhöhen, sagt er, sondern: Man müsse sie senken. Für diejenigen, die wenig oder beinahe nichts haben, ist das sicher richtig. Aber alle anderen? Spitzenverdiener, profitable Unternehmen oder eben Konzerne, die derzeit Krisengewinner sind? Warum sollten sie sich jetzt nicht finanziell angemessen beteiligen müssen an den explodierenden Energiekosten? Ja: Damit die Wut nicht hochkocht im Herbst und im Winter nicht kommt, was viele schon befürchten: Soziale Unruhen.“

La Libre Belgique (BE) /

Die Reichen sind die größten Verschwender

Wer seinen Konsum am stärksten einschränken muss, erklärt Ökonom Étienne de Callataÿ in La Libre Belgique:

„Wir alle müssen uns stark für besseren Umweltschutz anstrengen, allerdings entsprechend unserer Kapazitäten, insbesondere der finanziellen, sowie unseres aktuellen ökologischen Fußabdrucks. Diesbezüglich lässt uns eine Statistik aufhorchen, die unbeirrbar zeigt, dass die Wohlhabendsten den Großteil der Anstrengung erbringen müssen. Ihr zufolge hat die weniger wohlhabende Bevölkerungshälfte in den USA und in Frankreich einen ökologischen Fußabdruck, der bereits im Rahmen der bis 2030 zu erreichenden Reduktionen liegt - oder zumindest fast. Nicht sie müssen als Erste aktiv werden oder einschränkende Maßnahmen befolgen. Die andere Hälfte muss loslegen!“

Dagens Nyheter (SE) /

Klartext reden und Thema anpacken

Dagens Nyheter ist wütend über das Kleinreden der ernsten Probleme durch die Politiker:

„Es ist sowohl unverantwortlich als auch irreführend, wenn Politiker den Wählern direkt oder indirekt versprechen, dass Klimawandel und Klimaumstellung das Leben und den Alltag 'einfacher Menschen' nicht beeinträchtigen werden. Das werden sie tun, mit dem Unterschied, dass die Rechnung kleiner ausfallen wird, wenn wir uns heute mit der Situation befassen, als wenn wir sie auf morgen verschieben.“

The Economist (GB) /

Schwarzmalerei war übertrieben

Deutschland schlägt sich bei der Abnabelung von Russland besser, als ursprünglich angenommen, findet The Economist:

„Als Putin in die Ukraine einmarschierte, war Deutschland noch für 55 Prozent seines Gases auf Russland angewiesen. Schwarzmaler warnten davor, dass die Energieversorgung unterbrochen werden könnte, dass deutsche Fabriken geschlossen und Familien in ihren Küchen vor Kälte zittern würden. Tatsächlich hat sich der russische Anteil am deutschen Gasmarkt halbiert und dennoch füllen sich die Gasvorräte für den Winter im normalen Tempo auf. Die Industrie sagt, dass sie ihren Verbrauch stärker als erwartet reduzieren kann. Und wegen höherer Energiepreise und Umweltschutzkampagnen werden Haushalte dasselbe tun.“