Reflexionen zur Zukunft Europas

Abschottung als Reaktion auf die Flucht hunderttausender Menschen, hohe Arbeitslosigkeit und Schulden, Aufwind für rechtsradikale Parteien und Bewegungen: Europas Integration gerät ins Stocken. Schwierige Wahlen in mehreren Mitgliedsländern sind eine zusätzliche Belastung. Scheitert das große Friedensprojekt?

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Il Sole 24 Ore (IT) /

Verhängnisvolle Angststarre

Einer EU, die sich von jeder schwierigen Entwicklung in einem Mitgliedsstaat blockieren lässt, droht der Zerfall, prophezeit der Politikwissenschaftler Sergio Fabbrini in Il Sole 24 Ore:

„Letztes Frühjahr war die EU gelähmt vor Angst, weil Marine Le Pen in Frankreich hätte siegen können. Jetzt hält sie den Atem an, weil Berlin eine Regierung bildet. Als nächstes wird sie darum bangen, ob in Rom überhaupt eine Regierung zustande kommt. ... Und starrt gebannt nach Budapest, Warschau und auf die Zukunft Wiens. Derweil steht die Welt nicht still. Trumps Nationalismus macht sich bemerkbar, Putins Aggressivität ebbt nicht ab, der Druck der Flüchtlingswelle auf den Kontinent verringert sich nicht. … Wenn die Politiker nicht bald verstehen, dass die Verquickung nationaler Politiken mit EU-Politik für die EU eine tödliche Bedrohung ist, ist diese zur Implosion oder Bedeutungslosigkeit verdammt.“

Tages-Anzeiger (CH) /

Wir Dummköpfe demontieren uns selbst

Stephan Israel, Brüssel-Korrespondent des Tages-Anzeigers, bedauert, dass man in Europa derzeit vor allem damit beschäftigt ist, sich selbst zu schaden:

„[Wir sind] alle Europäer, geboren in Frieden, Wohlstand und Sicherheit wie keine Generation vor uns. Europa ist Sehnsuchtsort für Flüchtlinge, Migranten, Studenten auf der ganzen Welt. Immer noch Ort mit vergleichsweise geringen sozialen Unterschieden und hoher Lebensqualität. Doch wir betreiben unsere eigene Demontage, machen uns klein. Die Autokraten dieser Welt können sich freuen, wenn die Europäer sich selber zerlegen. ... Vielleicht werden wir tatsächlich einmal als dümmste Generation aller Zeiten in die Geschichte eingehen.“

De Standaard (BE) /

Die Sehnsucht der Europäer nach dem Politischen

Es ist zu einfach, alle Kritik an der EU als Populismus abzutun, warnt die Philosophin Tinneke Beeckman in ihrer Kolumne für De Standaard:

„Technokratische Führer der EU wiederholen seit den Krisen von 2008 immer nur eine Botschaft: Es gibt keine Alternative. Und wer das Gegenteil behauptet, ist ein Populist. ... Diese paternalistische 'Mit-dem-Rücken-zur-Wand'-Rhetorik spielt der Antipolitik in die Hand und ignoriert die Essenz der Politik: die Pluralität. … Demokratie impliziert, dass Bürger über die Zukunft der Gesellschaft diskutieren und Alternativen gegeneinander abwägen können. Wenn die Befürworter der liberalen Demokratie keine Optionen mehr haben, dann siegen die nicht-liberalen Visionen. Der Aufstand der Europäer gegen ihre Regierungen und gegen die EU ist eine Sehnsucht nach dem Politischen, nach der respektvollen, kontroversen Debatte von Gegnern. Die Europäische Union ist in einer Krise: Sie ist eine schmerzhafte Abrechnung mit dem Irrtum, dass Bürger den Mangel an Perspektiven und Lösungen akzeptieren würden.“

De Volkskrant (NL) /

Für Frits Bolkestein gibt es kein europäisches Wertesystem

Regierungspolitiker in Polen und Ungarn vertreten die Ansicht, dass Europas Wertesystem vor einem Zustrom anderer Kulturen verteidigt werden müsse. Doch das europäische Wertesystem gibt es gar nicht, meint der ehemalige EU-Kommissar Frits Bolkestein in De Volkskrant und verweist auf mehrere Studien:

„Die Ergebnisse sind sowohl faszinierend als auch ernüchternd. Denn die Unterschiede bei den Werten sind sehr groß. ... So ist etwa der Glaube an Gott sehr wichtig für Polen, aber überhaupt nicht bedeutend für die Tschechen. Im Norden von Europa sieht man den Respekt vor Autoritäten als etwas Schlechtes an, das gilt aber nicht für den Rest von Europa. ... Wer dazu neigt, Freiheit, Menschenrechte und Demokratie als europäische Werte zu betrachten, muss einsehen, dass dieselben Werte auch in den beiden anderen Zweigen der westlichen Zivilisation gelten: Nord- und Lateinamerika. ... Es gibt eine große Vielfalt europäischer Werte. Was die EU-Mitgliedsstaaten verbindet, sind allerdings nicht ihre Werte, sondern ihre unterschiedlichen Interessen.“

Postimees (EE) /

Urve Eslas über die Wucherungen politischer Lügenkonstrukte

Im US-Wahlkampf und in der Brexit-Kampagne erleben wir eine Post-Wahrheits-Politik, in der Lügen akzeptabel sind, beobachtet die Kolumnistin Urve Eslas in Postimees:

„An Verschwörungen zu glauben, heißt, davon überzeugt zu sein, dass jemand einen Plan und die Macht hat, uns zu täuschen, also eine bedeutende Menge an Informationen, Geld und Menschen kontrollieren kann. In einer Gesellschaft, in der Menschen einen freien Willen haben, wo die Presse frei und unabhängig ist und die Bewegung des Geldes vom Finanzamt überwacht wird, wäre das kompliziert. Doch angesichts der Zunahme von politischen Lügen und Misstrauen gedeihen auch Verschwörungstheorien und Radikalismus. So schwächt sich die Zivilgesellschaft selbst und werden autoritäre und extreme Parteien gestärkt. Wenn man die Veränderungen in Ungarn, Tschechien, der Slowakei, Rumänien und Polen beobachtet, kann man solche Zeichen erkennen.“

El Mundo (ES) /

Sind Europas Sozialdemokraten am Ende?

Ob Großbritannien, Frankreich oder Spanien: Die Sozialdemokraten sind in vielen europäischen Ländern gespalten. Das bedroht Europas politisches System, fürchtet El Mundo:

„Die Implosion des Wirtschaftssystems hat in den meisten EU-Ländern zum Bruch der politischen Struktur geführt: Das Zweiparteiensystem garantierte ein Gleichgewicht zwischen liberaler Marktwirtschaft und sozialistischer Unbeweglichkeit. Die Konservativen scheinen das besser auszuhalten, obwohl auch sie Schwierigkeiten haben. Aber die Sozialdemokraten machen eine schwere Identitätskrise durch, die das bestehende Modell komplett ruinieren kann. Sie schaffen es nicht, Alternativen vorzuschlagen und leiden unter internen Spaltungen: Hier die Linksradikalen, die das europäische Projekt ablehnen, und dort, wo sie regieren, ein Trend zu liberalen Werten. ... Der Mauerfall hat den Kommunismus verschwinden lassen, und die jetzige Krise kann Europa aus jenem Gleichgewicht bringen, das Fortschritt und Zusammenhalt ermöglicht hat.“

Le Monde (FR) /

Jetzt Verteidigungsunion gründen, fordern Roberta Pinotti und Paolo Gentiloni

Den zunehmenden Ängsten der Bürger muss die EU mit einer neuen Initiative begegnen, fordern Italiens Verteidigungsministerin Roberta Pinotti und Außenminister Paolo Gentiloni in Le Monde:

„Wenn wir das Erstarken des Populismus vereiteln wollen, der die Situation zur Verbreitung antieuropäischer Argumente auszunutzen versucht, müssen wir mit wirkungsvollen Antworten auf die zunehmenden Sorgen unserer Bürger reagieren. ... Eine der wichtigsten Antworten - die in der öffentlichen Debatte wahrlich keine große Rolle spielt - betrifft die Verteidigung. Zwar verlieren wir mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ein Mitgliedsland mit beachtlichen militärischen Kapazitäten, doch bieten sich dadurch auch neue Perspektiven für die gemeinsame Verteidigung. Deren Wiederbelebung würde uns nicht nur erlauben, unsere operative Kapazität in Krisengebieten und im Kampf gegen den Terror zu stärken sowie die Effizienz unserer Ressourcen zu erhöhen. Wir würden auch hervorheben, dass wir das Integrationsprojekt konkret unterstützen wollen und dadurch ein bedeutendes politisches Signal senden.“

Eesti Päevaleht (EE) /

Mehr direkte Demokratie hilft gegen Populisten, meint Olev Remsu

Der Aufschwung populistischer Politiker und Parteien in Europa und den USA ist ein Zeichen dafür, dass die repräsentative Demokratie versagt hat, fürchtet der Schriftsteller Olev Remsu in Eesti Päevaleht:

„Bei Donald Trump und Marine Le Pen können wir feststellen, dass deren heutige Position ein Ergebnis der Demokratie ist. Die Gefahr, dass sie bei einer Machtergreifung nach Hitlers Vorbild die Demokratie vernichten werden, schwebt drohend in der Luft. Es ist schwer, die Demokratie mit Mitteln der repräsentativen Demokratie zu verteidigen. ... Die Demokratie braucht Veränderungen, wie es sie schon früher gab. Ich glaube, dass mehr direkte Demokratie den Marsch der autoritären Kräfte hin zur Macht stoppen könnte. Oder, falls sie durch die repräsentative Demokratie und mit Hilfe ihrer Demagogie bereits an die Macht gekommen sind, würde direkte Demokratie verhindern, dass sie die Daumenschrauben weiter anziehen.“

Le Point (FR) /

Patrick Artus träumt von einem spanisch-italienischen Tandem

Wie in früheren Krisen der europäischen Staatengemeinschaft sind auch derzeit Rufe nach einer neuen deutsch-französischen Initiative zu vernehmen. Die beiden großen Reformländer Spanien und Italien dürfen jedoch nicht außen vor gelassen werden, mahnt der Ökonom Patrick Artus in Le Point:

„Dies wäre in unseren Augen sowohl ein politischer als auch ein wirtschaftlicher Fehler. Italien und Spanien haben wirksame Arbeitsmarktreformen durchgeführt, die einen Beschäftigungsanstieg erleichtert haben und von welchen sich andere Länder inspirieren lassen könnten. Spanien ist unter den großen Volkswirtschaften der Eurozone die dynamischste. Es muss eine Alternative zum deutsch-französischen Tandem gefunden werden, um Europa neuen Schwung zu verleihen. Das deutsch-französische Paar kann nicht als Motor für die Wiederbelebung Europas dienen. Die wirtschaftlichen Strukturen Frankreichs und Deutschlands sind sehr unterschiedlich, weshalb die beiden Länder entgegengesetzte wirtschaftspolitische Ziele haben. Auch ihre Vorstellungen von einer optimalen institutionellen Organisation der Eurozone sind konträr (Föderalismus versus Regeln). Es gibt keinen Grund, Italien und Spanien auszuschließen.“

Medium (US) /

Bernhard Schneider über die einende Kraft der Kultur

Um Europa bürgernäher zu machen, müssen wir uns künftig stärker auf die Kraft der Kultur besinnen, fordert Bernhard Schneider vom Netzwerk Soul for Europe auf dem Onlineportal Medium:

„Damit Europäerinnen und Europäer dieses Projekt als ihr Eigentum wahrnehmen und annehmen können, muss es zu ihnen zurückkehren. ... Die kulturellen Gemeinsamkeiten sind eine solide Legitimationsbasis für ein vereinigtes Europa und zugleich dauerhafter, als es noch so wichtige Gemeinschaftsprojekte wie die der Kohle- und Stahlindustrie oder der gemeinsame Binnenmarkt sein konnten. Zugleich aber gefährden kulturelle Differenzierung und Diversität immer auch den Zusammenhalt und bedürfen darum besonderer politischer Zuwendung. ... Die Kultur Europas ist zu Hause in den Städten und Regionen. Und bei den Menschen, den Europäern, die dort leben. Wer in einer Stadt oder Region mit Kultur zu tun hat, ob als Bürger oder Amtsträger, nimmt also eine europäische Aufgabe wahr. Ob er es weiß oder nicht, er ist ein Akteur des Europas von unten. Er muss sich mehr als bisher bewusst machen, dass er in dieser Verantwortung handelt.“

Diário de Notícias (PT) /

António Barreto über die Deformierung Europas

Der Terrorismus entstellt das Europa, das wir kennen, klagt der Soziologe António Barreto in Diário de Notícias:

„Europa ist nicht mehr das, was es einmal war - und wird in ein paar Jahren nicht mehr das sein, was es heute ist. Damit endet eine Ära in unserer Geschichte und in der Geschichte des Kontinents: ein Europa des Friedens und der offenen Arme für alle Flüchtlinge in der Welt. ... Ein Europa, das sich durch Großzügigkeit, Kultur und Vielfalt unterscheiden wollte. ... Dieses Europa, dieser Traum, dieses Projekt, Geschichte und Hoffnung: alles verschwindet. ... Der islamistische Terrorismus zerstört das Europa, das wir kennen. Viel schlimmer noch: die Angst vor Terror beeinflusst zunehmend unser Leben. Stimuliert all unsere Schutz- und Verteidigungsreflexe, den Rechtsmissbrauch und eine aggressive Reaktion, die Europa entstellen. Bewusst erweckt der islamistische Fanatismus den Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit, die die Europäer seit Jahren zu beseitigen versuchen.“

Jyllands-Posten (DK) /

Für Mikael Jalving fehlt den Eliten die Einsicht

Auf das "Trilemma" der Weltwirtschaft, das der Ökonom Dani Rodrik bereits vor knapp zehn Jahren skizzierte, verweist Mikael Jalving in seinem Blog bei Jyllands-Posten und kritisiert, dass die Eliten dieses noch nicht begriffen haben:

„Die Globalisierung, die Demokratie und der Nationalstaat - diese drei guten Dinge können wir nicht gleichzeitig haben. ... Wir müssen eine Wahl treffen oder die einzelnen Teile dosieren. ... Nach wie vor haben wir dieses zentrale Trilemma nicht begriffen; das gilt vor allem für die wirtschaftlichen und politischen Eliten, ob in Davos, in der EU, in Frankfurt, Paris oder Berlin. Sie laufen Sturm gegen sämtliche Grenzen und Normen, äußere wie innere. Doch das ist so, als hätte man vor 30 Jahren die Popgruppe Gnags dazu auserkoren, über die Weltpolitik zu bestimmen. Wenn wir etwas brauchen, dann einen größeren und stärkeren Aufruhr des Volkes gegen die Führenden und ihre Fangemeinde aus Intellektuellen, Medienlieblingen und Popmusikern.“

Upsala Nya Tidning (SE) /

Mats Wiklund warnt vor der Zerstörungskraft des Tabubruchs

Die von den Rechtspopulisten beschworene Gefahr für Europa und seine Nationen sind letztlich sie selbst, schreibt Mats Wiklund in Upsala Nya Tidning:

„Holt das Land zurück!, ruft jetzt ein Nationalist nach dem anderen. ... In dieser Stimmungslage wird es plötzlich möglich, das früher Undenkbare auszusprechen: Baut eine Mauer! Erschießt Flüchtlinge! Lasst keine Muslime rein! Holt euch das Land zurück! Das wirklich Gefährliche - und vielerorts nähert man sich nun diesem Punkt - ist, dass die Menschen sich an die Vereinfachungen und an die Gewalt verherrlichenden Botschaften der Extremisten und Demagogen gewöhnen. Das Unnormale wird zum Normalen. ... Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die grundlegenden Werte, die Schweden und andere europäische Länder zusammenhalten, bedroht sind. Die Gefahr geht aber von jenen aus, die nun mit all ihren Kräften nach der Zerstörung des gegenseitigen Vertrauens trachten, das die Basis liberaler und offener Gesellschaften ist.“

Dnevnik (BG) /

Evgenij Dajnov glaubt, Demokratie ist Europäern zu kompliziert

Die Demokratie in Europa ist auf dem Rückzug, fürchtet der Politologe Evgenij Dajnov im Nachrichtenportal Dnevnik:

„Die Türkei entfernt sich mit schnellen Schritten von den grundlegenden Postulaten der Moderne - Gleichheit, Toleranz, Meinungs- und Religionsfreiheit, Rechtsstaat, Gewaltenteilung, Trennung von Staat und Kirche. ... Davor haben die Russen diesen Weg eingeschlagen, in orgiastischer Gefolgschaft gegenüber Putin. ... Die Ungarn, Polen und Slowaken testen gerade aus, ob ihnen die Kehrtwende hin zum Ameisenhaufen gefällt, auf dem alle gleich sind, jeder einen Chef hat und Andersdenkende den anderen zum Fraß vorgeworfen werden. In gewisser Weise ist die Versuchung verständlich. Es fällt den Menschen schwer, sich in dem komplexen Geflecht aus Institutionen, Gewaltenteilungen, Gesetzen und Regeln für jeden und alles zurechtzufinden und wenn es dann auch noch heißt: 'Du hast alle Möglichkeiten - komm mit deinem Leben allein zurecht'. Viel einfacher wäre es, wenn es all dies nicht gäbe und alle gleich wären unter der Führung eines weisen Häuptlings nach dem Motto 'Ein Volk, ein Glaube, ein Führer!'“

Causeur (FR) /

Gebt dem Volk die Macht zurück, verlangt Emmanuel-Juste Duits

Politische Entscheidungen in Europa müssen wieder Sache des Volkes werden, fordert der Autor Emmanuel-Juste Duits auf dem Debattenportal Causeur:

„Die EU steht am Scheideweg: Entweder sie setzt ihre Flucht nach vorn fort, in Richtung Machtenteignung der Bürger zu Gunsten von Experten, die fähig sind, sich in immer komplexeren und undurchsichtigeren Strukturen zurechtzufinden; oder die Entscheidungen werden mittels neuer Mechanismen wieder an die Völker Europas übergeben. Es geht also darum, das fehlende Glied in der Kette zu schaffen, nämlich ein echtes demokratisches Debatteninstrument, das es den Bürgern endlich ermöglicht, vernunftgeleitete Entscheidungen zu treffen. Solche wirksamen Debattenmethoden wurden bereits entwickelt: etwa das Deliberatorium-Experiment in den USA sowie die Konsenskonferenzen. Wenn es uns nicht gelingt, dieses neue methodische und erhellende Debatteninstrument hervorzubringen, können wir uns vom demokratischen Ideal - der Macht des Volkes für das Volk - verabschieden und werden eine unvorstellbare Regression erleben, die die Macht in die Hände dieser neuen Philosophiekönige legt, welche die Experten und Juristen der europäischen Institutionen verkörpern.“

Právo (CZ) /

Visegrád ist schlecht für Tschechien, warnt Jiří Pehe

Tschechien leidet nach Meinung des Politologen Jiří Pehe unter dem schlechten Ruf der Visegrád-Länder, schreibt er in Právo:

„V4 war mal ein gutes Markenzeichen, solange man dort gemeinsame Ziele verfolgte. Doch zuletzt haben sich die Gegensätze verschärft, die aus unterschiedlicher Mentalität, Größe, Ambitionen und der Geschichte herrühren. ... Tschechien wird aber dennoch als untrennbarer Teil der V4 betrachtet. Da half es auch nichts, dass sich das Land vor allem in der Migrationsfrage zurückhaltender gegenüber der EU benahm als die anderen drei, die gern mal mit der Faust auf den Tisch hauen. ... In Wahrheit werden die V4 als eine Gruppe wahrgenommen, die immer größere Probleme mit der Demokratie hat. Die zwar gern von den reicheren EU-Ländern nimmt, aber ihrerseits unsolidarisch ist. Auch aus historischer Sicht wäre es besser, wenn sich Tschechien mehr an den deutschsprachigen Nachbarn orientieren würde, als an denen im Osten und Norden.“

La Repubblica (IT) /

Für Paolo Rumiz zerfällt die EU im Balkan-Stil

Die EU ist auf dem besten Weg, sich zu balkanisieren, fürchtet Schriftsteller Paolo Rumiz in La Repubblica:

„Was ist das für ein Geräusch von Riegeln, die vorgeschoben werden? Von Schlössern, Gittern und Grenzschranken, die knarrend zugehen? Es tönt durch ganz Europa, von Großbritannien nach Griechenland, von Katalonien bis an die Grenze Russlands. Was ist das für eine Banalisierung der Sprache, die uns ereilt? Diese Verbreitung gewaltvoller Alternativen, die sich hinter harmlosen Begriffen verbergen, die nach Informatikersprache klingen, wie 'In/Out' oder 'Leave/Remain'? Woher kommt die todbringende Aggressivität, woher die obszönen Zweisilber wie 'Brexit' oder 'Grexit', die die Komplexität der Ereignisse annihilieren? Und wie soll man die Illusion nennen, die sich der Staaten ermächtigt, alleine sei man besser dran? ... Ein Wort haben wir dafür, es steht uns seit über einem Vierteljahrhundert zur Verfügung. ... Es heißt Balkanisierung. Ich weiß, die Gleichsetzung mit dem Balkan gefällt wenigen. Man würde gerne glauben, der Balkan sei ein Konfliktherd von Tribalismen, gegen die das 'zivile' Europa gefeit ist. Doch der Traum von Europa könnte zerschellen. ... Ein Zerfall im perfekten Balkan-Stil.“

Novinar (BG) /

Alexander Tomov setzt auf das liberale Deutschland

Nationalismus und Populismus geistern durch Europa und ausgerechnet Deutschland könnte sie aufhalten, beobachtet der Kolumnist Alexander Tomov in der Tageszeitung Novinar:

„Dass ich das noch erleben darf: Deutschland ist der liberale Geist Europas und bei den einstigen Alliierten müffelt es nach Faschismus. Großbritannien zum Beispiel will die EU verlassen, ohne sich über die Wunden zu scheren, die das im gemeinsamen europäischen Projekt hinterlassen wird, an dessen Gründung man so tatkräftig beteiligt war. Und warum? Wegen ein paar dummer Populisten, die wie Mücken angeflogen kommen, Blut saugen und verschwinden. ... Der Geist, der einst Hitler an die Macht brachte, spukt wieder durch Europa und ausgerechnet Deutschland - welch eine Ironie - ist eine der wenigen vernünftigen Stimmen, die ihn aufhalten könnte. Noch ist die Hoffnung nicht verloren, solange Deutschland stark ist und die Deutschen sich nicht der Propaganda hingeben.“

Berlingske (DK) /

Für Jesper Beinov ist EU-Kritik zum Volkssport verkommen

Die Vorsitzende der dänischen Sozialdemokraten, Mette Frederiksen, hat der EU vorgeworfen, sie lasse die Bevölkerung im Stich. Die Tageszeitung Berlingske vermisst eine nuancierte Debatte:

„EU-Kritik ist für Politiker eine Art Volkssport geworden. ... Die EU-Mitgliedschaft beinhaltet, dass wir formal Souveränität abgeben, letztlich aber an Einfluss gewinnen. Global gesehen müssen wir am gemeinsamen Weg mit jenen interessiert sein, deren Werte wir teilen, in einer Welt, in der viele große Staaten Macht mit Recht gleichsetzen. ... Offenkundig haben wir die EU-Debatte vernachlässigt. Und es ist leichter, verbal auf die EU einzuprügeln als zuzugeben, dass sie eine Arena für Machtkämpfe ist - genau wie die heimische Politik auch. Natürlich sollen wir nicht zu allem, was aus Brüssel kommt, Ja und Amen sagen. Doch die Politiker haben die EU im Stich gelassen. Die EU schlechtzureden, kann auf Dauer für Dänemark zutiefst schädlich sein.“

Český rozhlas (CZ) /

Petr Holub sperrt sich gegen apokalyptische Szenarien für Europa

Wenn man sich die Berichterstattung über das europäische Ausland anschaut, könnte man meinen, es gehe ständig bergab mit Europa, ärgert sich Kommentator Petr Holub im öffentlich-rechtlichen Hörfunk Český rozhlas:

„Katastrophenszenarien verkaufen sich gut. Das gilt zumindest für Tschechien. Vielleicht ist es nur Gedankenlosigkeit, mit der Medienbesitzer und Journalisten Nachrichten westlicher Agenturen in Tschechien verbreiten. Wenn aber aufgeregte Stimmen aus dem Ausland ohne Kontext übertragen werden, kann es so aussehen, als wachse in Österreich neuerlich eine braune Gefahr heran, die Europa schon einmal zerstört hat. Dabei hat Präsidentschaftskandidat Hofer nur die Unzufriedenheit der Österreicher mit der Großen Koalition ausgenutzt. ... Ähnlich kann es in Großbritannien enden. Das Anwachsen der Rechtsradikalen muss nicht zum Brexit führen. Es kann aber die Eliten dazu bringen, sich für die normalen Sorgen der Bürger zu interessieren. Europa steht vor keiner Apokalypse. Es löst nur ernstere Probleme als früher.“

Magyar Hírlap (HU) /

László Csizmadia über die Morgendämmerung Osteuropas

Die Erneuerung des europäischen Projekts ist unerlässlich, meint der Publizist László Csizmadia in der Tageszeitung Magyar Hírlap und nennt die treibende Kraft dahinter:

„Der Anspruch, die Union zu erneuern kommt heute von den Ländern, die unter der Sowjetherrschaft litten und also den Wert der Freiheit besonders schätzen. Dem von [dem deutschen Kulturhistoriker] Oswald Spengler heraufbeschworenen Untergang des Westens folgt nun die Morgendämmerung des Ostens. ... Die Mehrheit der europäischen Bürger wünscht sich weiterhin die Einheit Europas. Allerdings nicht in der heutigen Form, wo alles Kopf steht. In der EU hat heute die Politik das Primat, gefolgt von der Wirtschaft. Erst an dritter Stelle kommen die Interessen der Gesellschaft. ... Die europäischen Bürger indes wünschen sich eine umgekehrte Reihenfolge. ... Das Bündnis europäischer Staaten wird nur dann langlebig sein, wenn die Souveränität seiner Nationen geachtet wird. Osteuropa steht für eine solche Politik, und es wird sich hoffentlich gegen die beharrenden Kräfte in Westeuropa durchsetzen.“

La Repubblica (IT) /

Wie Thomas Piketty die EU wieder auf Vordermann bringen will

Um wieder handlungsfähig zu werden, muss der harte Kern der EU sich jetzt neue Verträge geben, fordert der französische Ökonom Thomas Piketty in La Repubblica:

„Flüchtlinge, Schulden, Arbeitslosigkeit: Die Krise Europas scheint nicht enden zu wollen. Für einen wachsenden Teil der Bevölkerung ist daher der nationale Rückzug die einfachste Lösung: Wir treten aus der Gemeinschaft aus und kehren zum Nationalstaat zurück und alles wird besser. Angesichts dieses illusorischen Versprechens - das aber den Vorteil der Klarheit hat - zögert und zaudert das progressive Lager nur: Sicher, die Situation ist nicht glänzend, doch man muss ausharren, bis die Dinge besser werden. ... Diese tödliche Strategie muss enden. Der Moment ist gekommen, dass die wichtigsten Länder der Eurozone die Initiative ergreifen und die Bildung eines harten Kerns vorschlagen, der in der Lage ist, Entscheidungen zu fällen und unseren Kontinent wieder voranzubringen. ... Die Bedingungen sind gegeben, um parallel zu den bestehenden Verträgen, einen neuen zwischenstaatlichen Vertrag zwischen den Staaten der Eurozone abzuschließen, die dies wünschen.“

El País (ES) /

Für Daniel Innerarity muss Europa Solidarität neu denken

Will Europa als Solidargemeinschaft überleben, muss es ein neues Konzept von Solidarität entwickeln, rät Philosoph Daniel Innerarity in der Tageszeitung El País:

„Ein 'moralistisches' Verständnis von Solidarität geht davon aus, dass die politische Akteure kein Eigeninteresse haben und dass sich die Gesellschaft durch Großzügigkeit regeln lässt. ... Auf der anderen Seite können wir ein 'zynisches' Verständnis von Solidarität ausmachen, das von den vermeintlich 'natürlichen' Grenzen der Solidarität spricht, um die Interessen Anderer nicht berücksichtigen zu müssen. ... Ich schlage ein drittes Verständnis von Solidarität vor, das der 'Reflexivität'. Damit können wir Solidarität als Institutionalisierung des 'aufgeklärten Eigeninteresses' oder des langfristigen Interesses Europas verstehen. Jenseits eines altruistischen Konzepts, das auf großzügiges Hintenanstellen der Eigeninteressen setzt. Und jenseits des Zynismus, der uns daran hindert zu verstehen, dass unsere kurzfristigen, unmittelbaren Ziele nicht unseren wahren Interessen entsprechen.“

Mandiner (HU) /

Maciej Zięba über Europas multiple Persönlichkeitsstörung

Warum die Flüchtlinge in Europa als Problem angesehen werden, erläutert der polnische Theologe, Physiker und ehemalige Solidarność-Aktivist, Maciej Zięba, auf dem Meinungsportal Mandiner:

„Zunächst einmal ist festzustellen, dass die Postmoderne, die in der heutigen europäischen Kultur eine dominante Rolle einnimmt, alle Werte in Zweifel zieht. Zweitens: In Europa haben sich drei Kulturschichten abgelagert: das Christentum, die Aufklärung und die Postmoderne. Diese Schichten stehen miteinander in Konflikt und schwächen sich gegenseitig. In Anbetracht der mehrdimensionalen Identität Europas, die auf diesen Kulturschichten gründet, leidet der Kontinent sozusagen an einer Autoimmunkrankheit, der Organismus bekämpft sich selbst. In psychiatrischer Hinsicht haben wir es mit einer multiplen Persönlichkeitsstörung zu tun, was einen tiefen Konflikt der Identitäten bedeutet. ... Aus diesem Grund ist das Flüchtlingsproblem in Europa kein Problem der Flüchtlinge, sondern eines von Europa.“

Zeit Online (DE) /

Jochen Bittner über das Demokratie-Dilemma der EU

Angesichts der Abstimmung über den Brexit in sechs Wochen erklärt der Journalist Jochen Bittner auf Zeit Online, woran die EU eigentlich krankt:

„Warum genau kippten die Briten den ersten Dominostein? Weil sie, kurz gesagt, nicht mehr an den Mehrwert glaubten, den ein hyperkomplexer Staatenverbund gegenüber einem selbstbewussten Nationalstaat bietet. Und weil sie das Gefühl haben, dass ihre Kritik an den Funktions- und Zieldefiziten der EU vierzig Jahre lang überhört worden ist. ... Die Wahrheit ist, dass man all dies, Demokratie, Gleichklang und Effizienz, nicht zusammen haben kann. Man kann nicht mit 28 Regierungen in Brüssel Mehrheitsbeschlüsse fassen, ohne dass die Mitbestimmungsrechte der nationalen Parlamente daheim leiden. ... Wer eine effiziente EU möchte, die in der Welt als geschlossener Player auftritt, der muss in einem gewissen Maße auf klassische nationalstaatliche Demokratie verzichten. Die Frage, ob die Europäer dazu bereit sind, wurde ihnen bisher nie gestellt. Sie wurde verschleiert. Dieser fehlende Grundkonsens über den großen Deal ist es, der die EU jetzt taumeln lässt.“

Trud (BG) /

Für Vasil Prodanov ist die EU in einem Paradox gefangen

Nicht weniger Europa, sondern nur eine Stärkung der europäischen Institutionen kann der wachsenden Europaskepsis entgegenwirken, meint der Politologe Vasil Prodanov in Trud. Doch gerade wegen des Misstrauens gegenüber der EU sieht er dafür wenig Chancen:

„Mehr Integration durch Föderalisierung und eine Stärkung der gemeinsamen Grenzen und Institutionen bedeutet mehr militärische, soziale und wirtschaftliche Sicherheit. Um das zu erreichen, bräuchte Europa aber nicht nur eine gemeinsame Währung, sondern auch eine gemeinsame Finanzpolitik. Das würde wiederum eine drastische Erhöhung des EU-Haushalts und eine stärkere Umverteilungsrolle der EU-Institutionen nach sich ziehen. Derzeit verteilt die EU gerade mal ein Prozent des gemeinsamen BIP. Zum Vergleich: Für das Jahr 2016 sind in den USA 22,51 Prozent des BIP für den Bundeshaushalt vorgesehen. Angesichts der Einstellung politischer Eliten sowie des wachsenden Euroskeptizismus ist es unwahrscheinlich, dass Europa diesen Weg einschlagen wird.“

Večernji list (HR) /

Das Schreckgespenst heißt Fremdenangst

Im Kosovo ist der Europatag am 9. Mai ein staatlicher Feiertag. Der Rest Europas mag seiner Grundwerte nicht mal an diesem Tag gedenken, kritisiert die Večernji list:

„Im Europa des 21. Jahrhunderts geht wieder ein Schreckgespenst um. Es ist nicht mehr der Faschismus oder der Kommunismus, sondern die Xenophobie, die Angst vor dem Fremden. Die nationalistischen Parteien der extremen Rechten gießen Öl in dieses Feuer, nicht etwa um ihr Volk zu beschützen, wie sie sich brüsten, sondern nur um Stimmen zu fangen und ihre Politiker ins Parlament zu bringen. Für eine Handvoll Stimmen sind sie bereit die europäischen Ideale zu verkaufen, um die der Rest der Welt Europa beneidet und auf denen Demokratie gebaut wird. ... Am Europatag müssen wir auf die Worte von Papst Franziskus hören, der Europa aufruft, sich aufzurütteln und sich an die Werte zu erinnern, auf denen es gründet.“

Kainuun Sanomat (FI) /

Niemand verteidigt unsere Werte

Während der gesamten Nachkriegszeit waren die Werte der Europäischen Union nie so stark gefährdet wie heute, kommentiert die Tageszeitung Kainuun Sanomat:

„Menschenrechte, Demokratie, Meinungsfreiheit, Freizügigkeit, gegenseitige Solidarität - wohin sind diese Werte und Prinzipien verschwunden? Offener Rassismus, selbstsüchtiger Nationalismus, Verletzung von Minderheitenrechten, Einschränkung der Pressefreiheit, Verfälschungen der Geschichte - derlei Erscheinungen und Bestrebungen sind vielerorts zu beobachten. Es ist symptomatisch, dass Nationalismus, Fremdenhass und ethnische Trennung insbesondere in einigen ehemaligen totalitären kommunistischen Staaten auftreten, die sich nun weigern, Verantwortung für Asylbewerber und Flüchtlinge zu übernehmen, obwohl die EU den Wiederaufbau in diesen Ländern großzügig unterstützt hat. Doch dieselben Entwicklungen gibt es auch im sogenannten alten Europa. … Es ist bestürzend, wie schwach und farblos die Reaktionen der europäischen Politiker sind. Wer verteidigt eigentlich noch Europa, seine Werte und Ziele?“

Trud (BG) /

Lyubomir Kyuchukov warnt vor Rückkehr zum Nationalstaat

Dass immer mehr EU-Länder sich nach dem souveränen Nationalstaat zurücksehnen, gefährdet das europäische Gemeinschaftsprojekt, warnt Lyubomir Kyuchukov vom Economics and International Relations Institute (EIRI) in Sofia in der Tageszeitung Trud:

„Eine rückwärtsgewandte Politik ist heute kaum in der Lage die Probleme der Gegenwart zu lösen. Sie ist aber sehr wohl in der Lage, der Zukunft der EU Steine in den Weg zu legen. Sie ist ein Ausdruck der Nostalgie nach der gewohnten (doch nicht mehr vorhandenen) Stabilität. Offensichtlich ist die Phase der schrittweisen, konfliktlosen Entwicklung in der EU vorbei. Das Gleichgewicht ist nicht mehr da - in den Mitgliedsländern selbst, in den Beziehungen der Mitgliedsländer zueinander und in den Beziehungen zwischen der EU und dem Rest der Welt. Es fehlt an Visionen für die Zukunft der EU, es fehlt an Solidarität zwischen den EU-Ländern und an Sicherheit in den Gesellschaften. Wenn Europa sich nicht marginalisieren will, muss die EU den Weg zur nächsten Phase ihrer Integration finden.“

Jornal de Negócios (PT) /

Harold James beobachtet einen Krieg der Generationen in Europa

Europas junge Generation geht im Kampf um Ressourcen zunehmend leer aus, beobachtet der US-Geschichtsprofessor Harold James im Jornal de Negócios:

„Mit zunehmender Bevölkerungsalterung in Europa stellt sich die demografische Pyramide mit hoher Geschwindigkeit auf den Kopf - und statt eines Kriegs zwischen den Klassen zeichnet sich ein Krieg der Generationen ab. ... Dieser wird überwiegend an der Wahlurne ausgefochten - die alten Leute entscheiden Wahlen, während die jungen zu Hause bleiben -, und die Kriegsbeute ist das Verhältnis zwischen Bildung, Renten, Gesundheit und Steuerregelungen innerhalb der nationalen Haushalte. Mit diesem Konflikt wurde der Generationenvertrag, der lange die soziale und politische Stabilität stützte, gebrochen. ... Für den Moment mag das durch die Arbeitsmobilität gebotene Sicherheitsventil eine Revolte der Jungen gegen die Selbstsucht und Selbstzufriedenheit der Alten verhindern. Die Frage ist, was passiert, wenn die Chancen im Ausland irgendwann genauso schlecht sind wie zu Hause.“

Cyprus Mail (CY) /

Europa reparieren - eine Anleitung von Hans-Gert Pöttering und Androulla Vassiliou

Wie Europa geopolitisch wieder stark werden kann, analysieren der Vorsitzende der Konrad-Adenauer-Stiftung, Hans-Gert Pöttering und die ehemalige EU-Kommissarin für Bildung, Androulla Vassiliou, in der Cyprus Mail:

„Die Grundlage dafür ist eine einheitliche EU: die Teilung in Ost und West, Nord und Süd, die wir derzeit erleben, stellt eine Gefahr für uns alle dar. Es ist daher von größter Bedeutung, dass das Vereinigte Königreich ein Teil der Europäischen Union bleibt. Und wir sollten nie vergessen, dass es unsere gemeinsamen EU-Werte sind, die uns verbinden: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Frieden und Rechtsstaatlichkeit. Wir sollten nicht unsere Energie auf unsere Unterschiede konzentrieren, sondern darauf, Europa als Schicksalsgemeinschaft wieder funktionsfähig zu machen. Wir haben keinen Zweifel daran, dass dies gelingen kann.“

15min (LT) /

Ainius Lašas verabschiedet sich vom christlichen Europa

Es gibt keinen Grund, den Bedeutungsverlust des christlichen Glaubens in Europa zu bedauern, meint der Kolumnist Ainius Lašas auf dem Portal 15min:

„Die Herolde des Konservatismus kritisieren manche Tendenzen zu Recht, zum Beispiel eine überzogene Toleranz an westlichen Universitäten oder problematische Aspekte der Integration von Migranten. Dadurch werden aber ihre Ermahnungen, zu den christlichen Werten zurückzukehren, nicht attraktiver. Die Mehrheit der Westeuropäer glaubt nicht mehr an die göttliche Entstehung, sondern sieht eher ihre menschliche Seite. Deshalb ist es naiv, an das Wort Gottes und die absolute Wahrheit zu appellieren. Solche Ambitionen sind problematischer, als die eine oder andere übertriebene postmoderne Tendenz, wie der von den Konservativen gehasste moralische Relativismus. Der ist schon problematisch und widersprüchlich in sich, aber was ist denn die Alternative? Der blinde Vorschlag, die Augen vor der Realität zu verschließen und nach den vom Himmel geschickten Werten zu leben? Wir haben schon einmal in einer solchen Ära gelebt und nennen sie bis heute die 'dunklen Jahrhunderte'. Genau da steckt jetzt ein ziemlich großer Teil der islamischen Welt. Wollen wir dahin zurückkehren?“

Sme (SK) /

Für Matúš Krčmárik verliert Europa seine Menschlichkeit

Als Menschen mit Einzelschicksalen werden die Flüchtlinge in Europa im Frühling 2016 nicht mehr wahrgenommen, und das verbaut ihnen die Chance auf eine Zukunft, beklagt Kommentaror Matúš Krčmárik in der liberalen Tageszeitung Sme:

„Heute regiert auf beiden Seiten die Angst. Die Angst der Flüchtlinge, die den wachsenden Hass der Europäer spüren, und die Angst der Europäer, dass ihnen diese Menschen ihr gewohntes Leben zerstören. ... Doch die Flüchtlinge sind keine Nummern. Sie haben ihre Geschichte und bis vor kurzem hatten sie noch eine Zukunft. Werden sie nach dem Türkei-Deal zurückgeschickt, bleibt ihnen nur das Warten. Die Kinder verlieren ganze Schuljahre, die Erwachsenen das Gefühl für Arbeit, letztlich ihre Würde. ... Wenn diesen verzweifelten Menschen, die vor Krieg geflohen sind, kein Mitleid mehr in Europa entgegengebracht wird, dann verliert Europa ein Stück seiner Menschlichkeit.“

Delfi (LV) /

Jurijs Sokolovskis über die neuen Konkurrenten des alten Kontinents

Mit dem Bedeutungsverlust Europas und neuen Machtkämpfen als einer Folge davon setzt sich auf dem russischsprachigen Onlineportal Delfi Jurijs Sokolovskis auseinander, Ex-Abgeordneter der Partei, die seit 2014 Lettlands Russische Union heißt:

„Einige Jahrhunderte dominierte Europa in der Welt. Doch die Geschichte geht weiter. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass die EU jetzt einer von vielen leistungsstarken Spielern ist. Europa verliert seine Vormachtstellung. Sein Anteil an der Weltwirtschaft und sein Einfluss in der globalen Politik sinken. Die Einwohner werden älter und die Einwohnerzahl hält sich nur dank der Migration. Die Wirtschaft schrumpft. Gleichzeitig haben Länder wie China oder Indien, die Europa überholen wollen, eine junge und zahlenmäßig wachsende Bevölkerung. Dank der Globalisierung hat diese Generation Zugang zu modernen Technologien, guter Ausbildung und Kapital für Investitionen. … Die neuen Führer wollen die Macht geteilt wissen, so zum Beispiel in der UN oder dem IWF. Aber die Umverteilung der Macht ist, wie wir aus der Geschichte wissen, immer mit Krieg und einer Neuordnung der Einflusszonen verbunden. Der Krieg geht so lange, bis eine neue Balance entsteht, die der neuen Kräfteverteilung entspricht.“

Lietuvos žinios (LT) /

Identitätslosigkeit generiert Terror, meint Jūratė Laučiūtė

Europa hat seine Identität verloren, kritisiert die Kolumnistin Jūratė Laučiūtė in der konservativen Tageszeitung Lietuvos žinios mit Blick auf die Anschäge in Brüssel:

„Obwohl Europa seine christlichen Wurzeln weitgehend ignoriert, hört man immer noch die Kirchenglocken schlagen. Manchmal verkünden sie das Wunder der Auferstehung. Manchmal läuten sie zur Begleitung in die Ewigkeit. Und heutzutage läuten sie immer häufiger zur Verabschiedung von Terror-Opfern. … Terroristische Anschläge ziehen den Menschen im Westen den Boden unter den Füßen weg, im wahrsten Sinne des Wortes. Im übertragenen Sinne tun das auch die westlichen Politiker und Juristen, denen die linksliberalen Menschenrechtler, Philosophen und Intellektuellen mit ihrer Toleranz und politischen Korrektheit den Kopf verdreht haben. Nur Verrückte werten die Staatsbürgerschaft höher als die Nationalität. Die dafür verantwortlichen Politiker jammern jetzt, weil sie mit der Tatsache konfrontiert sind, dass 'Belgier' andere Belgier töten. Einem Europa, das seine nationale, kulturelle und religiöse Identität verloren hat, wird bald die Stunde schlagen.“

La Repubblica (IT) /

Nicolas Baverez will nach Paris und Brüssel Europas Neustart

Europa muss dem Terrorismus wehrhaft begegnen, fordert der französische Sozialwissenschaftler Nicolas Baverez in der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica:

„Europa, das davon träumte, in die Geschichte einzugehen, will keine Feinde, und es will auch niemanden als solchen anerkennen müssen. Doch nun sieht es sich im Islamischen Staat mit einem Feind konfrontiert, der ihm den totalen Krieg erklärt und eine Zerstörung seiner Werte und seiner Zivilisation anvisiert. … Die Tragödien von Paris und Brüssel dürfen nicht unbeantwortet bleiben. Sie stellen eine einzigartige Gelegenheit dar, Europa neu zu überdenken. Diejenigen, die es zerstören wollen, der Werte wegen, die es verkörpert, unterstreichen dabei unfreiwillig auch seine Identität und seine Schicksalsgemeinschaft. Wir müssen jetzt den Mut wiederfinden, unsere Demokratien zu verteidigen, indem wir für die Sicherheit seiner Bürger sorgen und nicht nur für die von bestehenden Normen. ... Lasst uns nicht vor der Barbarei zurückweichen. Wehren wir uns gegen Müdigkeit und Angst. Lasst uns mit dem Heroismus der Vernunft den radikalen Islamismus bekämpfen, ohne Hass, aber auch ohne Unterlass, bis er besiegt ist.“

Jutarnji list (HR) /

Miljenko Jergović über Europa als Flüchtlingskontinent

Fast alle Völker Europas sind durch den Zuzug von Flüchtlingen entstanden, erinnert der kroatische Schriftsteller Miljenko Jergović in der liberalen Tageszeitung Jutarnji list:

„Seit dem 7. Jahrhundert sind alle Europäer aus dem Osten eingewandert - Kelten, Illyrer und Basken mögen die einzigen Ausnahmen sein. Einst zog uns die Zivilisation Europas an und der Hunger trieb uns während der großen Völkerwanderung hierher. In den letzten Jahrhunderten machte die Idee der Freiheit, und alles was mit ihr zusammenhängt, Europa anziehend. Heute kommen deshalb Menschen aus Syrien, Irak und Afghanistan, um hier ihre neuen Leben zu gründen und selbst Europäer zu werden. Ihr Ziel ist es nicht, uns ihnen gleich zu machen, sondern sich uns anzugleichen. ... Und als Europäer sollte uns außerdem klar sein, dass man Emigranten nicht in zwei Kolonnen aufteilen kann, so wie es unverständlicherweise Deutschland getan hat: in die, die vor dem Krieg flüchten und jene, die in ein besseres Leben flüchten. Beide verfolgen dasselbe strategische Lebensziel, sich anzusiedeln und von vorne zu beginnen. ... Dieses Ziel hat sich seit dem 7. Jahrhundert nicht geändert.“

Hospodářské noviny (CZ) /

Für Martin Ehl fehlt es Europa an Führung und Strategie

Die etablierten Parteien der europäischen Länder befinden sich in einer tiefen Krise, zunehmend erringen populistische Gruppen Wahlerfolge und dem Kontinent mangelt es an Führung und Strategie, konstatiert der Auslandschef der wirtschaftsliberalen Hospodářské noviny, Martin Ehl:

„Bei der Bundestagswahl könnten die Populisten um [AfD-Chefin] Frauke Petry das Thema diktieren, auch wenn die Mehrheit der Wähler die Politik der offenen Tür Angela Merkels unterstützt, wie die drei Landtagswahlen zeigten. In den Niederlanden führt der Rechtspopulist Geert Wilders das große Wort, in der Slowakei entsteht eine Regierung, bei der sich einem der Magen umdreht. ... Die Politiker in Brüssel und anderen europäischen Metropolen reagieren nur auf Ereignisse, unternehmen nichts, um die Entwicklung in Bahnen zu lenken, die sie sich selbst wünschen. ... Sie verfallen trotz Wirtschaftswachstums in Pessimismus, was Populisten und Extremisten auszunutzen versuchen. Wenn sich das nicht ändert, setzen noch ganz andere die Themen: etwa der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan oder sein russischer Kollege Wladmir Putin.“

Blog Pitsirikos (GR) /

Pitsirikos sieht Europa in den Faschismus abdriften

Die EU hat keinen Plan, um die Flüchtlingskrise zu bewältigen und wird immer faschistischer, meint Blogger Pitsirikos:

„Die europäischen Länder verletzen die Genfer Konvention, die sie alle unterschrieben haben, und die europäischen Bürger befinden sich mit ein paar Ausnahmen im Tiefschlaf. Faschismus und Rassismus sind im Aufwind in Europa, und dies nicht wegen rechtsextremer Regierungen, sondern wegen Mitte-Rechts-Regierungen und Sozialdemokraten. Einige europäische Regierungen verbreiten faschistische Ansichten, damit die Faschisten nicht an die Macht kommen. Wenn man aber selbst Faschist wird, dann kommen die Faschisten sicher. Es ist nicht schwierig, dies zu begreifen. Obwohl es sich für viele europäische Führer als schwierig erweist. Wer jedoch Europa wirklich liebt, muss jetzt aufschreien, dass Europa faschistisch wird. Jetzt, denn nachher wird es zu spät sein.“

Lrytas (LT) /

Tomas Čyvas fordert einen neuen Eisernen Vorhang

Europa muss sich mit drastischen Mitteln vor Flüchtlingen schützen, meint der Journalist Tomas Čyvas auf dem Onlineportal Lrytas:

„Die westlichen Politiker, wie Angela Merkel, verhalten sich verantwortungslos und haben nicht die geringste Ahnung davon, wie man mit Banden von sehr zweifelhaften 'Flüchtlingen' fertig werden soll, die einfach dazu geneigt sind, Europa auf eigene Rechnung zu zerstören. ... Es gibt keinen willensstarken, jedoch nicht übergeschnappten Politiker, der sagen würde, dass wir wieder einen Eisernen Vorhang brauchen (und wir brauchen ihn in der Tat sehr). In der Öffentlichkeit dominieren raffinierte Erzähler linker Propaganda, die die Mehrheit mit Sentimentalität und Fotos toter Kinder in ihren Bann ziehen. ... Ja, der Westen und darunter auch Litauen braucht einige Dinge: einen Eisernen Vorhang und die Rückkehr zu westlichen Werten, wie Gleichheit vor dem Gesetz. Wenn dies auch mit der Enthüllung des Gesichts oder dem Ablegen religiöser Lumpen in Verbindung steht. ... Leider gibt es jedoch keinen Willen dazu.“

Corriere della Sera (IT) /

Bernard-Henri Lévy sieht Europas Rettung in der deutsch-französischen Achse

Nur wenn die EU Berlin und Paris in der Flüchtlingskrise folgt, kann sie überleben, mahnt der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy in einem Gastbeitrag in der liberal-konservativen Tageszeitung Corriere della Sera:

„Entweder lassen wir geschehen, dass uns der obszöne und verallgemeinernde Rette-sich-wer-kann-Gedanke übermannt und die nationale Wut den europäischen Traum unter sich begräbt. ... Oder aber die 28 EU-Staaten nehmen Vernunft an und entscheiden, der Linie von Angela Merkel zu folgen. ... In der Syrienfrage müssen sie François Hollande folgen, denn der Konflikt und die doppelte Barbarei, die das Land entvölkert und Millionen von Menschen ins Exil treibt, sind die wahre Ursache der heutigen Tragödie. Die beiden Politiker dürfen nicht versäumen, einander zuzuhören und vom anderen den jeweiligen Teil der Wahrheit zu vernehmen. Nur die ganze Wahrheit kann der deutsch-französischen Achse Leib und Seele verleihen, ohne die alles verloren sein wird. Dann und nur dann hat Europa eine Überlebenschance. Niemals zuvor war die Wahl klarer: Europa oder Barbarei.“

Corriere della Sera (IT) /

Wolfgang Münchau sieht schwarz für die EU

Die Ereignisse der kommenden Wochen und Monate skizziert Wolfgang Münchau und sieht diese als ernsthafte Gefahr für die EU. In einem Gastbeitrag für den liberal-konservativen Corriere della Sera schreibt der Wirtschaftsjournalist:

„Der EU-Sondergipfel mit der Türkei am 7. März wird kein einziges Ergebnis bringen. Angela Merkel wird ihre Haltung in der Flüchtlingskrise nicht ändern und weiter auf die Unterstützung der Türkei drängen. Die einseitige Aktion von Österreich, Ungarn und einigen Balkanstaaten wird für neue Hindernisse und Engpässe auf der Flüchtlingsroute in der Region sorgen. Die Flüchtlinge werden in Griechenland festsitzen. Viele werden versuchen, über den Seeweg nach Italien zu gelangen. Der Flüchtlingsstrom gen Nordeuropa wird abebben, während sich die Situation im Süden zuspitzen wird. Sollte Großbritannien dann am 23. Juni für den EU-Austritt votieren, könnten auch Schweden und Dänemark ein Referendum in Erwägung ziehen. Derzeit ist die Idee eines Brexit für die Mehrheit der Europäer - mich eingeschlossen - erschreckend. Doch sollte es dazu kommen, würde er allen, sogar denjenigen, die ihn verhindern wollen, wie eine wahre demokratische Entscheidung erscheinen.“

Le Soir (BE) /

In Flüchtlingskrise verliert Europa seine Seele

Für die EU ist die Bewältigung der Flüchtlingskrise viel entscheidender als ein möglicher EU-Austritt Großbritanniens, mahnt die liberale Tageszeitung Le Soir:

„Mehr als von jedem Vertrag oder jeder Vereinbarung hängt Europas Schicksal davon ab, ob es - den Bürgern ebenso wie den Regierenden - gelingt, angemessene Lösungen zu finden für die Krise der Flüchtlinge und Zuwanderer, die sich ein besseres Leben erhoffen. Nur vorübergehend macht die Diskussion um den Brexit vergessen, was für eine klägliche Figur unser reicher Kontinent mit 500 Millionen Einwohnern abgibt angesichts einer Million Flüchtlinge oder Migranten auf der Suche nach einem würdigen Leben, wie enorm das moralische, organisatorische und politische Versagen ist und wie gravierend das Entscheidungsdefizit. Dort, zwischen der Ägäis und der Balkanroute, nicht am Ufer des Ärmelkanals, setzt Europa zurzeit seine Seele und seine Größe aufs Spiel.“

Libération (FR) /

Nur gemeinsames Europa bietet Schutz vor Krieg

Anlässlich des 100. Jahrestags der verheerenden Schlacht von Verdun ist am Sonntag die umgestaltete Gedenkausstellung in Ostfrankreich eröffnet worden. Nur ein vereintes Europa kann dafür sorgen, dass sich Grausamkeiten wie der 1. Weltkrieg nicht wiederholen, mahnt die linksliberale Tageszeitung Libération:

„Wir glauben, dass der Frieden gesichert ist, und vergessen den Krieg. Vor unseren Augen, mehrere hundert Kilometer von Paris, hat der durch den Niedergang des Kommunismus plötzlich zu neuem Leben erweckte Nationalismus den Balkan vor zwanzig Jahren verwüstet und in der Ukraine einen Krieg ausgelöst, der bis heute andauert. Krieg sei unmöglich? Aus historischer Sicht eine gefährliche Naivität! Daher ist es so unverantwortlich, das europäische Ideal unter dem Vorwand von Schwierigkeiten wie Migrationsbewegungen oder Eurokrise verkümmern zu lassen, die mit Abstand betrachtet von begrenzter Dauer sind. Der Souveränismus ist kriminell. Es muss unermüdlich wiederholt werden, dass die Einheit des Kontinents unser einziger Schutz vor der Gewalt ist, die Gesellschaften und Nationen innewohnt.“

El País (ES) /

USA müssen sich mehr um Europa kümmern, fordert Joseph S. Nye

Da die EU von mehreren Krisen bedroht ist und die USA an einem starken Europa interessiert sind, könnte sich die US-Außenpolitik wieder stärker dem Alten Kontinent zuwenden, spekuliert der Politologe Joseph S. Nye in der linksliberalen Tageszeitung El País:

„Im Jahr 1973 kündigte der US-Außenminister Henry Kissinger, nach einer Zeitspanne, in der man sich vor allem um Vietnam und China gesorgt hatte, ein 'europäisches Jahr' an. In jüngster Zeit, nachdem Präsident Barack Obama eine Wende oder ein strategisches Gleichgewicht mit Asien ankündigt hatte, fürchteten viele Europäer, dass man sie nun ignorieren würde. Jetzt könnte es sein, dass 2016 aus Notwendigkeit erneut ein europäisches Jahr für die US-Diplomatie wird: Aufgrund der aktuellen Flüchtlingskrise, der Besetzung der Ostukraine und der illegalen Annexion der Krim durch Russland sowie aufgrund eines möglicherweise drohenden Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union.“

Il Sole 24 Ore (IT) /

Sergio Fabbrini beklagt fehlendes Format der EU-Politiker

Die EU steht vor den größten Entscheidungen seit ihres Bestehens, doch ihre Führungskräfte lassen die notwendige politische Weitsicht vermissen, klagt der Politikwissenschaftler Sergio Fabbrini in der liberalen Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore:

„Anstatt an einer Mogelpackung herumzudoktern, hätten sich echte europäische Führungskräfte vor geraumer Zeit auf den konstitutionellen Unterschied zwischen einem einfachen, allen zugänglichen Binnenmarkt und einer straffen Währung einigen müssen, die von einer politischen Union getragen wird. … Echte europäische Führungskräfte hätten sich nicht darüber gestritten, wie viele syrische Flüchtlinge sie in ihrem Land unter Berücksichtigung anstehender Wahlen aufnehmen können. Sie hätten sich vor geraumer Zeit auf eine gemeinsame Flüchtlingspolitik geeinigt, die über einen gemeinschaftlichen Haushalt verfügt, der von einer europäischen Steuer statt von nationalen Notstandsgeldern getragen wird und unter der Leitung einer gemeinsamen politischen Behörde steht. Es bleibt zu hoffen, dass große Entscheidungen große Führungskräfte hervorbringen.“

Le Soir (BE) /

Für Roberto Saviano bedrohen kriminelle Finanzströme Europa

Europa wäre naiv zu glauben, dass neue Grenzen Schutz bedeuten, warnt der Autor Roberto Saviano in einem Gastbeitrag, der in der liberalen Tageszeitung Le Soir und in mehreren europäischen Zeitungen erschien:

„Vor allem, weil bewiesen ist, dass kriminelle Organisationen es nicht nötig haben, sich illegaler Kanäle zu bedienen: Sie sind in der Lage, in jedem Land zu operieren, ganz unabhängig von den Flüchtlingsbewegungen. … Wie konnte diese terroristische Schlagkraft in Belgien überhaupt entstehen? Durch die Finanzmittel, die aus Dubai, Saudi-Arabien und dem Nahen Osten über verschiedene Kanäle eintrafen. Frankreich hat Luxemburg. Deutschland hat Liechtenstein. Spanien hat Andorra. Italien hat San Marino. Die ganze Welt hat die Schweiz. Wir sprechen nicht nur über Steuerhinterziehung, sondern über Zentren, die kriminelle und finanzielle Strategien in das Herz Europas locken. … Europa zahlt einen extrem hohen Preis, weil es nicht imstande ist, die Finanzströme und die Geldwäsche in den Griff zu bekommen. Das bedroht die Sicherheit Europas.“

L'Express (FR) /

Für Jacques Attali sitzen Europa und Russland in einem Boot

Angesichts der enormen wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen sollten Europäer und Russen gemeinsame Projekte entwickeln, anstatt einander verbal zu attackieren, rät Wirtschaftswissenschaftler Jacques Attali auf seinem Blog beim Wochenmagazin L'Express:

„Diese tragische Spirale muss dringend gestoppt werden. Denn seit der Münchener Sicherheitskonferenz ist das Schlimmste möglich geworden. Gegen den Willen der Völker. Dabei könnte man gemeinsam so viel machen - vorausgesetzt man ist in der Lage, Vernunft zu bewahren. Der Westen und Russland stehen vor dem gleichen Kampf gegen den Terrorismus und die Wirtschaftskrise. Die Europäer müssen gemeinsam einen vereinten Kontinent errichten, auf dem jeder Interesse am Erfolg des anderen hat. Um das zu erreichen, müssen alle Europäer aus West und Ost dringend auf einer großen Zukunftskonferenz zusammenkommen, damit sie mit kühlem Kopf und in ruhiger Atmosphäre gemeinsame Projekte und Strategien gegen ihre gemeinsamen Feinde ausarbeiten können.“

Mehr Meinungen

El País (ES) / 09. Mai 2016
  Europa behauptet sich auch in Krisenzeiten (auf Spanisch)
Der Tagesspiegel (DE) / 16. März 2016
  Für Norbert Blüm ist die Flüchtlingskrise Nagelprobe Europas